Programmheft 2014 - page 197

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Gesellschaftswissenschaftliches Kolleg
2. Religion und Moral im Recht des postnationalen Staates.
Eine Neubesichtigung aus verhaltenswissenschaftlicher
Perspektive
Leitung
Dr. Emanuel Towfigh
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern,
Bonn
Prof. Dr. StefanMagen
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechts-
ökonomik, Universität Bochum
Die Arbeitsgruppe interessiert sich aus rechtstheoretischer Sicht für die Funktionswei-
se und die außerrechtlichen Voraussetzungen von Recht im modernen Verfassungsstaat.
Sie richtet sich an Juristen wie auch an interessierte Sozial- und Geisteswissenschaftler
und fragt, was aktuelle Forschungen zu den verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen von
Gemeinsinn, Moral und Religiosität zu dieser Thematik beitragen können. Nach seinem
rechtlichen Selbstverständnis beschränkt sich der moderne Verfassungsstaat darauf, der in-
dividuellen Freiheitsentfaltung in einem pluralen Gemeinwesen äußere Grenzen zu ziehen.
Er distanziert sich von Religion und Moral, die als Schutzobjekt der individuellen Men-
schenrechte gegen den Staat in Stellung gebracht werden. Aber auch das säkulare Konzept
der Nation wird mit der Einbindung der Nationalstaaten in ein Netz supranationaler Bin-
dungen als Bezugspunkt von Gemeinsinn und Solidarität in Frage gestellt.
Diese Selbstdarstellung des Verfassungsstaats bietet möglicherweise aber auch nur eine hal-
bierte, aufs Rationale verkürzte Sicht. So wurde etwa vertreten, die Menschenrechte ver-
dankten ihre Karriere einer Sakralisierung des Menschen. Möglicherweise tragen implizite
moralische und religiöse Gehalte auch noch Weiteres zur Fundierung des Verfassungsstaats
bei. Eine solche, die intuitive oder emotionale Seite von Institutionen umfassende Sichtwei-
se wird jedenfalls durch jüngere Forschungen in den empirischen Verhaltenswissenschaf-
ten greifbarer. Sie zeigen, wie Institutionen auch von moralisch und religiös motivierten
Verhaltensweisen getragen werden, die wiederum nicht unwesentlich von Emotionen, In-
tuitionen und impliziten Kognitionen beeinflusst werden. Welche Rolle diese ‘nicht-ratio-
nalen’ Seiten menschlichen Verhaltens für die Funktionsweise des modernen, staatlichen
Rechts spielen, ist Thema der Arbeitsgruppe. Dafür wollen wir uns einen Überblick über
die einschlägige verhaltenswissenschaftliche Forschung verschaffen und an aktuellen Pro-
blemen erörtern, was daraus für ein Verhältnis des postnationalen Verfassungsstaats zu Re-
ligion und Moral folgt.
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