Programmheft 2014 - page 117

Akademie Überlingen
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Arbeitsgruppe 6
Theory of Mind: Neuro- und
Literaturwissenschaftliche Perspektiven
Leitung
Jun.-Prof. Dr. Sibylle Baumbach
Department of English and Linguistics, Universität Mainz
Prof. Dr. Ricarda I. Schubotz
Arbeitseinheit Biologische Psychologie, Universität Münster
Teilnehmer
Studierende aller Fächer; Englischkenntnisse werden vorausge-
setzt, da einige Texte auf Englisch gelesen werden
Theory of Mind (ToM) ist unser alltäglicher Begleiter: Ohne sie wäre es kaum möglich,
mit anderen erfolgreich zu interagieren. Sie bezeichnet die Fähigkeit, Gefühle und Gedan-
ken anderer Menschen zu erschließen. Doch wie lässt sich ToM genau beschreiben; welche
kognitiven Prozesse sind involviert, inwieweit lassen sich diese messen, und was hat ToM
mit Literatur zu tun? In unserer Arbeitsgruppe wollen wir Ansätze aus der Kognitions-
psychologie und der kognitiven Neurowissenschaft mit Theorien aus der Literaturwissen-
schaft, in die ToM nach dem cognitive turn Einzug gehalten hat, miteinander verbinden.
Aus Sicht der kognitiven Neurowissenschaft ist ToM eine mentale Funktion, die wie al-
le anderen auch eine neurofunktionelle Entsprechung hat. Das Netzwerk, das für ToM-
Aufgaben beobachtet wird, ist inzwischen gut erforscht, gibt aber auch neue Fragen auf.
Insbesondere ist der Zusammenhang zwischen sozialer und Ich-bezogener Kognition auf
der einen Seite und dem Zustand unseres Bewusstseins auf der anderen Seite Gegenstand
intensiver Untersuchung. Darüber hinaus konvergieren neuroanatomische, netzwerk-
theoretische und computationale Erkenntnisse aktuell in der Vermutung, dass das ToM-
Netzwerk auch strukturell absolut einzigartig ist. Eine Auswahl exemplarischer Texte be-
leuchtet diese spannenden Zusammenhänge.
In der Erzählforschung eröffnet ToM neue Perspektiven auf die Art und Weise, in der
Texte und Charaktere rezipiert werden. So bietet Literatur nicht nur Einblicke in die men-
talen Welten von Charakteren, sondern dient auch dazu, die eigene ToM kontinuierlich
auf die Probe zu stellen. Wie etwa Lisa Zunshine (2006) argumentiert, ist diese spieleri-
sche Übung bzw. das Vergnügen, andere Gedankenprozesse zu verfolgen, ein wesentlicher
Grund dafür, warum wir literarische Werke überhaupt lesen. Die Rolle von ToM in der
Rezeption von Literatur werden wir anhand unterschiedlicher Beispiele, vorwiegend aus
der englischsprachigen Literatur, diskutieren.
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