Florian Koch: „Wir brauchen zukunftsfähige Formen des Wirtschaftens“

Ob Schneiderei, Yoga, Co-Working oder Landwirtschaft: Mit neuen Ansätzen für eine nachhaltige und solidarisch organisierte Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen befasst sich der Promotionsstipendiat Florian Koch. Im Mittelpunkt stehen der Aufbau von Vertrauen und die direkte Beziehung zwischen Produzent:innen und Verbraucher:innen. Der 31-Jährige engagiert sich für das „Gemeinschaftsgetragene Wirtschaften“ und hilft, Menschen zusammenzubringen, die in diesem Bereich arbeiten, forschen oder an der Gründung eines „Gemeinschaftsgetragenen Unternehmens“ interessiert sind.

Florian Koch ist in Göttingen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte er unter anderem Ökologische Ökonomie in Wien. Derzeit promoviert Koch im Bereich Soziologie an der Universität Jena. Koch hat vor zwei Jahren das  Netzwerk „Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften (CSX)“ mit gegründet. Seit 2021 ist er Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes.

    Interview mit Florian Koch

    Herr Koch, Sie befassen sich mit Wirtschaftsformen, in denen Produzentinnen und Produzenten mit Verbraucherinnen und Verbrauchern eine Gemeinschaft bilden. Wie funktioniert dieser Ansatz?

    Dieser Ansatz kommt ursprünglich aus der Landwirtschaft und ist dort bereits weit verbreitet, man spricht von „Solidarischer Landwirtschaft“ oder „Community Supported Agriculture“. In dieser schließen sich Produzentinnen und Produzenten mit Verbraucherinnen und Verbrauchern mit dem Ziel zusammen, sich für eine solidarisch und ökologisch nachhaltige Lebensmittelproduktion einzusetzen. Sie entscheiden gemeinsam, was sie unter welchen Bedingungen produzieren wollen. Zu Beginn eines Jahres werden die laufenden Kosten des Betriebs, zum Beispiel für Saatgut, Gehälter und Transport, auf alle Mitglieder anteilig verteilt und somit die Produktion im Voraus finanziert. Um das Angebot auch für Menschen mit niedrigem Einkommen zugänglich zu machen, können diese in solidarischen und anonymen Biet-Verfahren durch Mitglieder mit hohem Einkommen entlastet werden. Die Vorfinanzierung ermöglicht Risiken, wie Ernteausfälle, gemeinsam zu tragen und auch die Erträge fair zu teilen – also von der Gemeinschaft getragen zu wirtschaften. Dieses Prinzip lässt sich von der Landwirtschaft auf andere Bereiche (X) übertragen – daher sprechen wir von „Community Supported X“ (CSX).

    „Die Schneiderin hat ihre „Kundschaft“ für das bevorstehende Jahr sicher.“

    Ein Beispiel?

    Ein Beispiel aus Herzberg bei Goslar: In einem Stadtteil arbeitet eine bisher selbstständige Schneiderin. Durch die Prinzipien des „Gemeinschaftsgetragenen Wirtschaftens“ erhält sie als Produzentin von Kleidung mehr Sicherheit und kann so aus einer zuvor unbekannten Freiheit heraus wirtschaften; Bürgerinnen und Bürger können gleichzeitig ihre Versorgung von qualitativ hochwertigen Produkten aktiv mitgestalten, indem sie gemeinsam mit der Schneiderin ein Zeitkontingent wie auch den Umfang und die Art der Leistungen für das bevorstehende Jahr vereinbaren. So haben sie die Möglichkeit nicht nur die Kleidung abzunehmen, sondern beispielsweise auch die Grundlagen des Schneiderns zu erlernen oder die Arbeit der Schneiderin mit neuen Ideen zu bereichern. Beide profitieren von einer wertschätzenden Kooperation, die auf direkten Beziehungen, Vorfinanzierung, dem Teilen von Risiko und Verantwortung, Transparenz und Kostendeckung fußt. Für die Produzentin – in diesem Fall die Schneiderin – werden die Kosten für Marketing und Vertrieb reduziert oder entfallen sogar ganz, da sie ihre „Kundschaft“ für das bevorstehende Jahr aufgrund der Direktabnahme und Vorfinanzierung sicher hat, was auch zum Abbau von Existenzängsten beitragen kann.

    „Verbraucher:innen und Produzent:innen gehen eine direkte Beziehung ein, kooperieren nachhaltig, solidarisch und vertrauensstiftend miteinander. Ich befasse mich mit der Frage, wie soziale und ökologische Werte zentraler Bestandteil der ökonomischen Praxis werden können.“

    Warum engagieren Sie sich für das „Gemeinschaftsgetragene Wirtschaften“ und was konnten Sie bisher mit Ihrem Engagement in dem Netzwerk bewirken?

    Ich bin überzeugt, dass wir andere zukunftsfähige Formen des Wirtschaftens brauchen. Aus meiner Sicht beinhaltet dies vor allem, einen dialogischen, integrativen und solidarischen Wirtschaftsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen und ökologische Nachhaltigkeit zentraler Bestandteil der ökonomischen Praxis werden und damit über selbstzweckhaftem Wachstum- und Profitstreben stehen können.  Im „CSX-Netzwerk“, das ich 2018 mit gegründet habe, sind wir mittlerweile rund 160 Menschen bundesweit, die beispielsweise aus Unternehmertum, Wissenschaft oder der Beratung kommen. Neben meinem vielfältigen Engagement in der Organisationsentwicklung des Netzwerks, bin ich Teil des „Onboarding-Teams“ und führe darin Interessierte im Rahmen des monatlichen Kennenlern-Treffens in CSX und in das Netzwerk ein, darunter Bürger:innen sowie Unternehmer:innen aus unterschiedlichen Bereichen – von der Energieversorgung, dem Handwerk, der Bäckerei und der Gastronomie bis hin zur Schneiderei und Imkerei. Im Team haben wir hierfür gemeinsam ein Buddy-System entwickelt, in dem bestehende Mitglieder neue Mitglieder mit dem CSX-Ansatz und dem Netzwerk tiefergehend vertraut machen und Erfahrungswerte teilen.

    Wie sind Sie zur Studienstiftung gekommen?

    Ich habe gezielt nach einer Fördermöglichkeit für die Promotion gesucht, die mir den interdisziplinären Austausch mit Promovierenden aus anderen Fachdisziplinen ermöglicht. Drei Monate nach der Bewerbung erfolgte ein Bewerbungsgespräch und ich erhielt die Stipendienzusage.

    Weitere Informationen

    • Kontakt: Florian Koch, florian.koch[at]gemeinschaftsgetragen.de
    • Website: Website des Projekts
    • Spendenkonto: Kontoinhaber: CSX-Netzwerk e.V., IBAN: DE64430609671205750600, BIC: GENODEM1GLS, Bank: GLS Bank, Verwendungszweck: „Allgemeine Spende“ (Falls Sie eine Spendenbescheinigung brauchen, schicken Sie bitte ein E-Mail mit Name, Anschrift und Betrag an: hallo@gemeinschaftsgetragen.de

    Stand: Dezember 2021

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