Stipendiat:innen / 

Porträts

Magnus Obermann: „Bedingungslose Hilfsbereitschaft und absolute Gastfreundlichkeit“

International Affairs

London School of Economics and Political Science (LSE)

Magnus Obermann, zog es im Rahmen des Metropolenprogramms nach Russland. Im Gespräch erzählt er vom Fernweh, das der 1. FC Köln auslöst und der besonderen Begegnung mit einer kasachischen Taxifahrerin.

Herr Obermann, Sie haben an der Moskauer Hochschule für Internationale Beziehungen (MGIMO) studiert. Warum haben Sie sich dafür entschieden und wie hat es Ihnen dort gefallen?

Ich habe mich für das MGIMO entschieden, weil ich mich für Internationale Beziehungen interessiere und mehr über den russischen Blick auf die Welt lernen wollte. Eine besonders große Rolle spielten dabei Geschichte und regionalspezifische Sprachausbildung. Das hat mich beides sehr beeindruckt, gerade weil es in meinem deutschen Lehrplan nicht so prominent vertreten war. Besonders interessant war es, wenn wir über Sachverhalte gesprochen haben, mit denen ich mich bereits in Deutschland beschäftigt hatte. Gerade im Völkerrecht sind mir da unterschiedliche Zugangsweisen aufgefallen. Bereichernd waren auch die häufigen, zumeist kontroversen Diskussionen, die wir als Student*innen untereinander oder mit Professor*innen und Gästen von außerhalb geführt haben. Insgesamt kann ich sagen, dass ich viele neue Perspektiven kennengelernt und auch wirkliche Freundschaften geknüpft habe. Ans MGIMO zu gehen war also alles in allem eine super Entscheidung!

Außerdem haben Sie Praktika absolviert, im Kulturreferat der deutschen Botschaft in Moskau sowie beim „Königsberger Express“ in Kaliningrad. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt?

Die beiden Praktika waren recht unterschiedlich. In der Botschaft war ich vor allem mit Fragen der Kulturgutrestitution befasst, mit denen ich durch mein Studium der Internationalen Beziehungen an der TU Dresden bereits vertraut war. Die diplomatischen Abläufe dahinter live mitzuerleben, war sehr aufschlussreich. Zu meinen Highlights zählen aber auch die Ausflüge mit den russischen Mitarbeiter*innen und Mitpraktikant*innen zum Schlittschuhlaufen – neben dem in aller Regel sehr guten Catering bei den Botschaftsempfängen. Beim „Königsberger Express“ hatte ich hingegen die Möglichkeit, etwas für mich wirklich Neues zu lernen und Erfahrungen in einer Zeitungsredaktion zu sammeln. Nebenbei ein wenig auf Kants Spuren zu wandeln und einen wunderschönen Sommer an der Kurischen Nehrung zu verbringen, kam natürlich auch alles andere als ungelegen.

Sie sind auch ausgiebig durch Russland gereist. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Sehr viele spannende Orte: Sankt Petersburg, Kasan, Nischni Nowgorod, Tjumen… Meine erste Reiseroute führte von Dagestan über Tschetschenien nach Sotschi. Meinen Geburtstag am Elbrus zu feiern, dem höchsten Gipfel des Kaukasus, und nur ein paar Tage später (Ende November!) im Schwarzen Meer zu schwimmen, werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Ebenso wenig wie die Reifenpanne auf dem Roadtrip mit meinen Brüdern durch Karelien, in stockfinsterer Nacht mitten in irgendeinem Wald. Den Wagen wieder flott gemacht hat dann eine kasachische Taxifahrerin. Überhaupt waren bedingungslose Hilfsbereitschaft und absolute Gastfreundlichkeit die einprägsamsten Erfahrungen, die ich in Russland gemacht habe. Gleich zweimal bin ich in einer völlig fremden Stadt gestrandet, beide Male im Winter und beide Male ohne funktionierende Kreditkarte oder Bargeld. Jedes Mal haben mich Menschen zu sich nach Hause eingeladen und dort wohnen lassen – viel länger als ich vorhatte zu bleiben. Der eine schrieb mir neulich völlig unvermittelt zum Geburtstag, nachdem wir länger keinen Kontakt hatten. Darüber habe ich mich unglaublich gefreut.

Was war ihr persönliches Highlight während des Programmjahres?

Das ist mit Abstand die schwierigste Frage! Na gut, ich versuche es mal: Den russischen Außenminister Sergej Lawrow im MGIMO zu treffen, mit der transsibirischen Eisenbahn zu fahren, die deutsche Botschaft in der EU-Delegation zu vertreten, im Gorki-Park spazieren zu gehen und dann Kaffee zu trinken im 50. Stock in der Moskauer City… Die Reisen im Winter und der Frühling in Moskau. „Podmoskovnye vechera“, die berühmten Nächte an der Moskwa! Überhaupt nach Russland zu reisen – mit dem Zug durch die Ukraine – und auf dem Weg noch ein paar Tage in Kiew zu verbringen, war ein echtes Erlebnis. So gibt es enorm viele Highlights. Am liebsten würde ich aber einfach nochmal ins Stadion von Lokomotive Moskau gehen. Irgendwie schaue ich immer noch ab und zu nach ihren Ergebnissen, wenn mich der 1. FC Köln ins Fernweh stürzt.

Wie hat das Jahr Ihren Blick auf das Land verändert?

Ich würde niemals behaupten, dass ich jetzt Russland verstehe. Das Prädikat möchte ich mir auch nicht anheften. Wenn man allerdings längere Zeit an einem Ort lebt, dort seinen Lebensmittelpunkt hat, und allmählich beginnt, sich zuhause zu fühlen, dann gewinnt man eine authentische Perspektive auf seine Umgebung. Und ich habe mich zu einem gewissen Grad wirklich zuhause gefühlt. Ich würde sagen, ich habe in Russland meine Fähigkeit zur „Multiperspektivität“ trainiert, was mir als Student der Internationalen Beziehungen besonders wichtig war. Jedenfalls hat mir das Metropolenprogramm dabei geholfen, einige Entwicklungen in Russland besser einzusortieren. Mein Blick auf dieses riesige Land hat sich dabei ständig verändert, und tut es eigentlich immer noch. Russland ist Deutschland in vielem unglaublich nah, gleichzeitig in wichtigen Dingen anders – und genau das macht die Faszination aus.

Welche Bedeutung hatte das Programm für ihre wissenschaftliche, berufliche oder auch persönliche Perspektive?

Eine enorm große. Ich hatte zwar vorher schon Russisch gelernt, aber ehrlich gesagt gedacht, das wäre spätestens mit dem Ende des Bachelors vorbei. Das ist jetzt nicht mehr so, der Aufenthalt in Russland hat alles auf eine nächste Stufe gehoben. Vor allem durch einige Freundschaften, die ich aus dem Jahr mitgenommen habe und als große persönliche Bereicherung empfinde. Wissenschaftlich? Leider haben die wenigsten, die über Russland schreiben, tatsächlich einmal dort gelebt, geschweige denn  sprechen sie Russisch. Und ja, das fällt auf. Beruflich? Mal gucken, wann in der Botschafterresidenz das nächste Mal etwas frei wird…

Welchen Weg haben Sie seit Ihrer Rückkehr eingeschlagen?

Ich bin von meinem Praktikum in Kaliningrad nahtlos nach China geflogen, wo ich an der Peking University einen LL.M in International Studies absolviert habe. Jetzt gerade bin ich an der LSE in London, wo das zweite Jahr meines Doppelmasters stattfindet. Auch hierfür war das Metropolenprogramm prägend: Beworben habe ich mich aus Moskau, die Zusage habe ich in „Piter“ bekommen (so nennen die Einwohner Sankt Petersburgs oft ihre Stadt), und für die Masterarbeit werde ich, so Corona will, vielleicht wieder zurück nach Russland gehen.

Magnus Obermann, 24, studiert aktuell International Affairs im Master an der LSE in London. Er war Stipendiat des 14. Jahrgangs des Stipendienprogramms „Metropolen in Osteuropa“, gefördert von August 2018 bis Juli 2019. Obermann ist auch Stipendiat der regulären Studienförderung der Studienstiftung.

Stand: Januar 2021