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Porträts

Annika Gläser

Intercultural Conflict Management

Alice-Salomon-Hochschule Berlin

Mit ihrem Videoblog guckmalyoga.com möchte Annika Gläser (30) ihre Mitmenschen dabei unterstützen, in den besonders herausfordernden Zeiten der Pandemie Halt zu finden – nicht nur körperlich, sondern auch im Alltag und emotional. Dafür teilt sie auf ihrem Blog kostenlose Yogastunden.

Frau Gläser, Sie haben Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina studiert und während dieser Zeit Georgien kennengelernt – woher rührte das Interesse an dem Land?

Als angehende Kulturwissenschaftlerin wollte ich in eine Kultur eintauchen, die aus meiner damaligen Sicht weit weg von meiner eigenen war, und bin ohne wirklichen Plan nach Georgien aufgebrochen. Dort habe ich mich dann festgebissen, was dazu geführt hat, dass ich immer wieder hinfuhr und den thematischen Kontext meiner Bachelor-Arbeit – die nicht anerkannte Republik Abchasien – ganze 1,5 Jahre beackert habe, bis ich eine Perspektive gefunden hatte, mit der ich wertfrei und – falls überhaupt möglich – unparteiisch über den Konflikt in Georgien schreiben konnte.

2014 wurden Sie dann Stipendiatin des Metropolen in Osteuropa-Programms der Studienstiftung – wie sind Sie auf das Programm aufmerksam geworden und für welche Projekte bzw. Auslandsaufenthalte haben Sie die Förderzeit genutzt? Was hat sie zur Teilnahme motiviert?

Angesichts meiner langen Studienzeit hätte ich niemals gedacht, dass ich zur Studienstiftung passe. Ein Freund schickte mir dann den Link zum Programm und ich dachte: Okay ich versuche es einfach, denn ich wollte sowieso wieder nach Georgien. Auf dem Auswahlseminar merkte ich dann, dass die Studienstiftung an Menschen interessiert ist, die denken, hinterfragen und sich einmischen, weil sie eine Vision der Gesellschaft haben, in der sie leben möchten. Also nicht nur dem Studienplan hinterherrennen. Das hat mir sehr gefallen und ich fühle mich in der Studienstiftung am richtigen Platz.

In Georgien habe ich dann weiter zu und in Abchasien geforscht und mich mit ansässigen Wissenschaftler*innen ausgetauscht. Ein Praktikum beim lokalen Büro der Heinrich-Böll-Stiftung war eine tolle Möglichkeit, eine weitere Facette Georgiens kennenzulernen. Und ich hab in Tbilissi meinen Führerschein gemacht – aber das ist eine andere Geschichte!

Was war Ihre prägendste Erfahrung in Georgien?

Vielleicht, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Ich höre so oft den Satz „Die Menschen in Georgien sind so... .“ Meistens kommt der von Personen, die ein paar Mal dort waren und das Gefühl haben, das Land zu kennen. In Wirklichkeit romantisieren sie es. Eine Kultur – auch die von kleinen Ländern – ist aber so unglaublich vielschichtig! Ich habe versucht, diese vielen Lagen zu durchdringen und bin sicher noch lange nicht am Ende angekommen.

Persönlich hat es mich natürlich verändert, mit Menschen aus einem anderen Land eng zusammenzuleben. Ich würde sagen, dass ich nun viel Gutes aus zwei Kulturen in mir trage und möchte das nicht missen.

Inzwischen studieren Sie im Master Intercultural Conflict Management an der Alice Salomon-Hochschule Berlin – warum haben Sie sich für diesen Studiengang entschieden und was fasziniert Sie an dem Fach?

Konflikte haben mich schon immer interessiert. Nach meinem Bachelor hatte ich drei Jahre eng mit Journalist*innen aus Osteuropa zusammengearbeitet. Auch dabei gab es natürlich Konflikte. Es ging um Hierarchien, Machtdistanz und Kommunikation. Diese Erfahrung wollte ich gern im Studium reflektieren, um vielleicht in Zukunft sogar ähnliche Kooperationen dabei beraten zu können, wie sich projektinternen Konflikten vorbeugen lässt.

In den vergangenen drei Semestern habe ich also zusammen mit einer festen Gruppe von Studierenden aus der ganzen Welt Konflikte auf allen Ebenen untersucht – zwischenmenschlich, im kleineren Maßstab eines Stadtteils und auf der großen internationalen Ebene. Die übergreifende Erkenntnis: Es ist kompliziert! Einfache Lösungen helfen zumeist nur zum Schein und es lohnt sich, den Kontext mit all seinen Widersprüchen genau zu verstehen.

Nun bin ich "scheinfrei" und im Urlaubssemester. Ab Herbst habe ich nur noch die Masterarbeit vor mir, für die ich phänomenologische Interviews mit Geschichtslehrern aus der ehemaligen DDR führen möchte.

Apropos Urlaubssemester: Welche Projekte konnten Sie hier bislang umsetzen?

Es gab der Pläne viele, wegen Corona kam aber alles ganz anders, und nun stecke ich den Großteil meiner Zeit in meinen Blog guckmalyoga.com. Als Corona auch in Deutschland zu Einschränkungen führte, häuften sich die Anfragen aus meinem Umfeld: Kannst du nicht auch online Yoga anbieten? Bei mir traf das auf die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft davon geprägt werden wird, wie jede einzelne Person durch die Krise geht. Ich wünsche mir eine solidarische, offene und kritische Gesellschaft. Aus meiner Sicht können aber nur seelisch und körperlich gesunde Individuen eine solche Gesellschaft tragen. In diesem Sinne sehe ich guckmalyoga als bescheidenen Beitrag auf dem Weg durch die Pandemie.

Wie funktioniert guckmalyoga?

guckmalyoga ist ein spendenbasierter Videoblog, der einem ganzheitlichen Ansatz folgt. In meinen Posts verbinde ich Yogastunden mit aktuell relevanten Themen. Ich richte mich an kritische Geister, die Lust auf Bewegung haben. Die dafür offen sind, abstrakte Themen körperlich zu erfahren und sich selbst besser kennenzulernen, mit ihrer Umwelt in Verbindung zu gehen und sich einzumischen. Der Blog soll zugänglich sein: Das Niveau der Stunden passt zu allen, die schon erste Yogaerfahrung mitbringen.

Wie bringen Sie sich konkret in das Projekt ein?

Ich investiere meine Erfahrung als Yogalehrerin und Projektmanagerin; mein Wissen zu globalen gesellschaftlichen Entwicklungen und Konflikten, aber auch zu Mediation und zwischenmenschlicher Krisenbewältigung, die ich aus meinem Studium mitbringe ‒  und dank Urlaubssemester viel Zeit. Ich habe mich auch in Bereiche eingearbeitet, die mir relativ fremd waren – zum Beispiel soziale Medien, rechtliche und technische Fragen. Freude an der Bewegung und Leidenschaft für eine bessere Welt treiben mich an.

Was haben Sie bislang bewirkt?

Diese Frage habe ich so an die Nutzer*innen meines Blogs weitergereicht. Sie schrieben mir zum Beispiel: „Ich wollte erst nicht wahrhaben, dass ich zur Risikogruppe gehöre. Wer will schon als gefährdet gelten in einer Gesellschaft, in der es oft um Stärke geht. Mit deinen Stunden lernte ich, das anzunehmen und gelassener mit den Einschränkungen, die ich anfangs ablehnte, umzugehen.“ Oder: „Die Stunden bekräftigen mich darin, mich so, wie ich bin, zu akzeptieren und von dort aus Kraft für Entwicklung zu schöpfen.“

Was war Ihre bislang prägendste Erfahrung im Projekt?

Es ist das Projekt selbst. Die Rückmeldungen beeindrucken mich.

Wie sieht das Team aus und wie läuft die Zusammenarbeit?

Wir sind bisher zu dritt, kooperieren punktuell: Ayham (24) baut die Website. Er erweitert so sein berufliches Profil als Programmierer. Judith (36) ist das Model, an dem sich die Nutzer*innen orientieren können. Sie praktiziert meine Stunden, lässt sich dabei filmen. Und ich als Allrounder. Die Teamarbeit ist konstruktiv, produktiv, herzlich, entspannt. Ich kann mir vorstellen, das Team auf ähnliche Weise zu erweitern.

Was sind nächste Ziele?

Ich möchte mehr Menschen erreichen – jede*r soll die Möglichkeit haben, die Kraft des Yoga für sich zu nutzen. Facebook, Instagram, Kommentarfunktion – die komplette Kommunikation soll integrativer werden, damit Nutzer*innen noch mehr eigene Themen vorschlagen und über ihre Erfahrungen diskutieren können. Auch das ist eine Suche: Wo liegt das richtige Maß von Interaktion, welche Kommunikationskanäle werden angenommen?  Das hängt auch eng mit Online-Marketing zusammen. Dafür brauche ich Verstärkung. Und das Projekt braucht ein Finanzierungsmodell, das trägt.

Wie können interessierte Personen Ihr Projekt konkret unterstützen?

Ich bin für jede Art der Unterstützung dankbar: Ehrenamtliche Aufbauhilfe, Beratung oder langfristige Unterstützung (z.B. Online-Marketing, Rechtssicherheit der Website, Finanzierungsmodell, strategische Entwicklung, Videoschnitt). Wenn es gut passt, könnte ich mir auch vorstellen, enger zu kooperieren. Spenden für Technik und Ehrenamtspauschalen, oder um jemanden für Online-Marketing bezahlen zu können.

Das einfachste sind sicherlich Likes in den sozialen Medien oder persönliche Empfehlungen an Freunde und Bekannte, um das Projekt bekannter zu machen.

Ganz allgemein: Was sagen oder raten Sie anderen Stipendiaten, die ihrerseits überlegen, sich zu engagieren?

Mach etwas, das dir wirklich was bedeutet. Nicht einfach, weil es ja dazu gehört, sich zu engagieren. Pass gut auf dich auf! Gerade das Ehrenamt kann einen auffressen. Wenn du dich selbst aufgibst und am Ende keine Kraft mehr hast, weiterzumachen, hilfst du auch niemandem weiter. Und denk auch an die Bedürfnisse deines Körpers ;)

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