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Porträts

Harald Kümmerle

Japanologie, wissenschaftlicher Mitarbeiter

Deutsches Institut für Japanstudien

Der Johannes Zilkens-Promotionspreis 2020 geht an Harald Kümmerle für seine Dissertation zur Institutionalisierung der Mathematik als Wissenschaft im Japan der Meiji- und Taishō-Zeit, die einen wichtigen Beitrag zur Japanologie sowie zur globalen Wissen(schaft)sgeschichte leistet.

Der Brückenbauer

Die Frage nach der wissenschaftlichen Zugehörigkeit und Zuschreibung war für Harald Kümmerle nicht immer leicht zu beantworten: Mathematiker, klar. Den Master dafür hat er seit 2011 in der Tasche. Aber Wissenschaftshistoriker? Oder Japanexperte? „Dass ich auch Wissenschaftshistoriker bin und dass man mich auch in der Japanologie ernst nimmt, da habe ich nicht immer zu 100 Prozent das Selbstbewusstsein gefunden“, verrät der 33-Jährige. Deshalb empfinde er die Auszeichnung mit dem Johannes Zilkens-Promotionspreis für Geistes- und Gesellschaftswissenschaften auch als eine besondere Anerkennung seines erfolgreichen „Karrierewechsels“.

Die Mathematik hat er aber deshalb längst nicht aufgegeben: Sie spielt in seiner Promotion – die unter anderem aus seiner Zeit als Gastwissenschaftler an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und als Junior Visiting Researcher der Keiō-Universität hervorgegangen ist – eine wesentliche Rolle.

Kümmerle zeichnet in seiner Arbeit die Entwicklung der Mathematik als Wissenschaft in Japan zwischen den Jahren 1868 bis 1926 nach und trägt zur Erklärung der dynamischen Modernisierung der japanischen Gesellschaft bei. Kümmerle fragt danach, wie sich neue Wissenschaftsstandorte bilden, wie Wissenstransfer organisiert wird – seine Antworten liefern entscheidende Impulse für die Japanologie und schlagen die Brücke zwischen ihr, der Mathematik und den Sozialwissenschaften.

Dass Kümmerle als Japanexperte und Wissenschaftshistoriker eine akademische Laufbahn einschlägt, hätte er in seiner Schulzeit als wenig realistisch eingeschätzt: Die Liebe zur Mathematik war immer da. „Japan spielte noch keine Rolle“, erinnert er sich.

Von Informatik zur Mathematik

Geboren im rumänischen Mühlbach, zieht er als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Augsburg. In der Schule ist er überdurchschnittlich gut – und das in allen Fächern. Irgendwann aber merkt der Teenager, dass ihm das analytische Denken besonders gut gefällt. Er wählt Mathematik und Physik als Leistungskurse: „Ich habe Physik immer heimlich als meinen ,Mathe-Pluskurs' bezeichnet“, erzählt er mit einem Augenzwinkern. Denn es sind weniger die Experimente, die ihn faszinieren, sondern die Theorie, die hinter den Versuchen steckt.

Zuhause verbringt er viel Zeit am Rechner und programmiert. Da kristallisiert sich zunehmend der Wunsch heraus, Informatik zu studieren. Ein Kryptographie-Probestudium an der LMU München während der Oberstufe verdeutlicht dem jungen Mann aber erneut: Auch hier ist es die Mathematik darin, die ihn fasziniert – und so entscheidet er sich für das Mathematikstudium an der Technischen Universität München.

2007 wird Kümmerle in die Studienstiftung des deutsches Volkes, 2008 ins Max-Weber-Programm aufgenommen. Und neben der Leidenschaft für Zahlen interessiert sich der Stipendiat zunehmend für zwei andere Bereiche: Japan und Philosophie. Ein Faible für japanische Filme bringt ihn dazu, die Sprache zu lernen.

Und in einem Lesezirkel trifft er sich mit anderen Mathe-, Physik- und Chemiestudierenden in Kneipen und Cafés, um sich über die verschiedensten Denkschulen und philosophischen Werke  auszutauschen. „In diesem Lesezirkel habe ich mir ein Grundrüstzeug für das Verständnis der Geistesgeschichte und der Gesellschaft erarbeitet, das mir eine Perspektive auf aktuelle geopolitische Themen eröffnet“, so der Wissenschaftshistoriker. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule beeindruckt ihn bis heute.

Leidenschaft für Japan

Seine zweite Leidenschaft, Japan begreifen und verstehen zu wollen, führt dazu, dass er mit dem Masterabschluss 2011 einen Aufenthalt in Japan anstrebt, um die Sprache besser zu lernen – das Fachgebiet will er da allerdings eigentlich nicht wechseln. Eher zufällig liest er dann etwas über das Japanprogramm der Studienstiftung, das jährlich fünf Hochschulabsolventinnen und -absolventen die Teilnahme an einem zweijährigen Intensivprogramm ermöglicht.* Ziel des Programms: Absolventinnen und Absolventen aller Fächer strukturiert Japankompetenz verschaffen, zu Vermittlern zwischen den Ländern zu qualifizieren.

Kümmerle fühlt sich angesprochen, bewirbt sich erfolgreich und beginnt sein Doppelstudium: Er studiert Japanologie und Japanisch als Fremdsprache an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und an der Keio-Universität in Tokio. 2013 schließt er den Doppelmaster ab und nimmt das Promotionsstudium auf, das er im Januar 2019 verteidigt.

Auch hier verbringt er wieder viel Zeit in Tokio, wohin er Anfang 2020 auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Japanstudien zurückgekehrt ist. „Das Alltagsleben gefällt mir in Tokio besser als in Deutschland, das Verkehrsnetz ist praktischer, man kann besser ausgehen und essen“, erzählt er. Dass sich der Augsburger in der Mega-Metropole Zuhause fühlt, hat einen entscheidenden Grund: „Ich versuche, die Japaner zu verstehen, sie nachzuvollziehen, ihr System in gewisser Weise zu durchdringen.“ Wer sich aber im Fremdsein auszuruhen versucht und keine Kompromisse eingeht, werde sich in Japan kaum wohl fühlen.

Am Deutschen Institut für Japanstudien forscht Kümmerle nun schwerpunktmäßig zum Diskurs um die digitale Transformation in Japan und richtet seinen Fokus auf den Datenbegriff. Er greift dabei auf Mittel der Digital Humanities zurück, die die Brücke zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik schlagen. Er bleibt also ein Brückenbauer: zwischen den Fachgebieten und den Kulturen.

Weitere Informationen

  • Hier finden Sie weitere Informationen zu Harald Kümmerle und zur Preisverleihung 2020

*Das Japanprogramm wurde 2010 von der Studienstiftung des deutschen Volkes in Kooperation mit der Robert-Bosch-Stiftung ins Leben gerufen und von 2015 bis 2020 als ein Projekt der Studienstiftung und der Haniel Stiftung fortgesetzt.

Stand: Juni 2020