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Porträts

Cornelia Pierstorff

Deutsche Literaturwissenschaft

Universität Zürich

Wie ein literarischer Text im Erzählen eine eigene Welt erzeugt, untersuchte Cornelia Pierstorff am Beispiel des Erzählwerks Wilhelm Raabes. Mit ihrer Dissertation hat die Literaturwissenschaftlerin ein Referenzwerk für die Realismusforschung geschaffen und wird mit dem Johannes Zilkens-Promotionspreis für Geisteswissenschaften 2022 geehrt.

Die Forschungsfrage

Wie erzeugt ein literarischer Text im Erzählen eine eigene Welt? Dass literarische Texte diejenige Welt hervorbringen, von der sie erzählen, mag beispielsweise für phantastische Literatur auf der Hand liegen – für die Literatur des Realismus ist dies alles andere als selbstverständlich. In den Erzähltexten des Autors und durchaus eigenwilligen Realisten Wilhelm Raabe (1831–1910) geht es nicht nur um Phänomene der Industrialisierung, Globalisierung und Urbanisierung, also der großen Umbrüche des 19. Jahrhunderts. Vielmehr weisen seine Erzählungen ihre dargestellten Welten auch als Fiktion aus und brechen so mit der gängigen Vorstellung des Realismus als Bewältigung der Realität.

„In ihrer Dissertation behandelt Cornelia Pierstorff grundlegende theoretische Fragen der Erzähl- und Fiktionstheorie auf innovative Weise. Damit hat sie ein Referenzwerk für die Realismusforschung geschaffen.“

aus der Begründung der Jury

Die Methode

Um beschreiben zu können, dass Raabes Erzähltexte ihre Aufmerksamkeit darauf richten, eigene Welten hervorzubringen, typologisiert meine Systematik grammatische, rhetorische und narrative Verfahren. Zu diesem Zweck erweitere ich die Erzähltheorie um eine Fiktionstheorie und kombiniere somit zwei theoretische Richtungen miteinander, die seit der Erfindung der modernen Fiktionstheorie ab dem 17. Jahrhundert in einer Art Arbeitsteilung koexistiert haben.

Die Ergebnisse

Meine Dissertation leistet einen systematischen Beitrag zur Erzähltheorie sowie einen literaturgeschichtlichen zur Raabe-Forschung. Raabes komplexe Erzählungen stellen Welt nicht einfach nur dar, sondern erzählen stets vom „Herstellen“ dieser Welten. Zum einen entwirft meine Dissertation daher den Grundriss einer fiktionstheoretisch informierten Erzähltheorie, die über ihren historischen Gegenstand hinaus Gültigkeit beansprucht. Zum anderen arbeitet sie Raabes spezifischen Beitrag zum Realismus in Literatur und Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus. Indem seine Texte Aufmerksamkeit für die Tatsache erzeugen, dass die erzählte Welt im Erzählen hervorgebracht wird, erlauben sie, Welten reflektiert darzustellen, Perspektiven einzuführen und – davon abhängig – von den Konflikten des 19. Jahrhunderts zu erzählen.

Zur Person

Cornelia Pierstorff hat ihre Dissertation als Promotionsstipendiatin der Studienstiftung an der Universität Zürich verfasst. Pierstorff studierte Germanistik, Geschichtswissenschaft und Philosophie sowie Literatur- und Kulturtheorie in Tübingen und Uppsala. Aktuell forscht die 34-Jährige als Wissenschaftliche Oberassistentin am Zürcher Deutschen Seminar zu Geschlecht und Gewalt in der Literatur seit den 1970er Jahren.

Kontakt

Cornelia Pierstorff, cornelia.pierstorff@ds.uzh.ch

Weitere Informationen

Stand: Mai 2022