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Porträts

Lukas Kleinhenz

Sonderpädagogik

Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Studienstiftung zeichnet Engagement für Flüchtlinge aus: Lukas Kleinhenz erhält den „weitergeben – Engagementpreis der Studienstiftung 2017".

Eine Mitarbeiterin einer Flüchtlingseinrichtung brachte 2015 den Stein ins Rollen: Sie kam in eine Sonderpädagogik-Vorlesung an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und erzählte den Studierenden von minderjährigen Flüchtlingen, die keinen Schulplatz bekommen und nun rund um die Uhr in der Unterkunft sitzen – ohne Eltern, ohne geregelten Tagesablauf.

Ein Hilferuf, der den damals 23-jährigen Lukas Kleinhenz und einige seiner Kommilitonen auf Anhieb aufhorchen ließ: „Wir haben uns anschließend zu zehnt getroffen und kurz darauf angefangen, vier Jugendliche zu unterrichten“, erzählt Kleinhenz. Wiederum ein paar Tage später waren es schon acht. Heute nutzen über 60 Schüler und Schülerinnen zwischen 18 und 74 Jahren aus aller Herren Länder das Angebot, in Kleingruppen Deutsch zu lernen: „UNI – Unterricht natürlich integrativ“ heißt die ehrenamtliche Initiative, an der sich inzwischen über 40 Studierende aus Würzburg beteiligen. Das Projekt ist zudem über ein wöchentliches Begleitseminar mit der Universität verzahnt, das wissenschaftliche Einblicke in die Themenkomplexe Flucht und Migration bietet.

„Wir haben einfach losgelegt!“

Seit der ersten Deutschstunde 2015 hat sich viel getan: „Wir haben damals einfach losgelegt und verständigten uns mit Händen und Füßen. Ein fertiges Unterrichtskonzept hatten wir nicht. Stattdessen war es ein vorsichtiges Herantasten – sowohl für die Geflüchteten als auch für uns“, erzählt Kleinhenz. Allerdings stand von Anfang an auch Spaß auf dem Stundenplan: Lernende und Lehrende spielen gemeinsam Fußball, Schach oder unternehmen kleinere Ausflüge in die Umgebung. Solche Freizeitaktivitäten helfen den Flüchtlingen, sich ihrem Umfeld zu öffnen und spielerisch die Sprache zu lernen, „denn es nützt wenig, wenn jemand perfekt das Kasussystem der deutschen Sprache beherrscht, aber beim ersten Bewerbungsgespräch sich nicht unterhalten kann“, so Kleinhenz.

Inzwischen existiert auch ein Unterrichtskonzept, das von der Vermittlung der einzelnen Buchstaben über Wortlautverknüpfungen bis zur Grammatik reicht. Die Gruppen sind nach Leistungsstand eingeteilt, sodass jeder individuell gefördert werden kann.Jeden Morgen besuchen die Flüchtlinge das Matthias-Grünewald-Gymnasium Würzburg, das die Unterrichtsräume unentgeltlich zur Verfügung stellt. Vier Stunden heißt es dann, konzentriert Deutsch zu lernen. Anfangs waren noch Minderjährige dabei, die aber mittlerweile staatliche Schulen besuchen. Aktuell nutzen auch viele geflüchtete Frauen mit Kindern das Angebot: „Wir haben auf diese Entwicklung reagiert, indem ein Ehrenamtlicher sich um den Nachwuchs kümmert, sodass die Frauen regelmäßig am Unterricht teilnehmen können, ohne einen Babysitter engagieren zu müssen“, erzählt Kleinhenz. Überhaupt sei viel Bewegung in den Gruppen: „Manche Teilnehmer ziehen weg oder bekommen einen staatlichen Sprachkurs genehmigt“, sagt Kleinhenz.

Andere Migranten wiederum kommen dazu, weil ihnen der staatliche Sprachkurs zu schnell zu viel abverlangt. „Da werden teilweise 25 Leute mit unterschiedlichem Sprachniveau von einem Lehrer unterrichtet. Vor allem diejenigen, denen das Lernen schwerer fällt, gehen da schnell unter“, erklärt Kleinhenz. Das „UNI – Unterricht natürlich integrativ“-Projekt eigne sich deshalb auch besonders für Sonderfälle: „Wir haben beispielsweise eine Analphabeten-Gruppe, für die Deutsch die erste Schriftsprache ist“, so der Stipendiat.

Mehr als eine Sprachschule

Nicht der Sprachtest allein sei das Ziel, sondern auch, dass die Teilnehmer Selbstbewusstsein entwickeln und sich trauen, Wünsche zu äußern – in diesem Zusammenhang spielen die Freizeitaktivitäten eine große Rolle. „So etwas läuft vornehmlich über die Sprache, aber eben auch über einen Rahmen, in dem sich derjenige wohl fühlt und merkt, dass er angekommen ist!“, sagt Kleinhenz. So gebe es in ihren Kursen durchaus Schüler, die den höchsten Sprachtest vermutlich nie bestehen werden, die aber ein Niveau erreichen, auf dem sie sich gut verständigen können.

Seit einem dreiviertel Jahr hat das Projekt sein Angebot erweitert: Inzwischen bieten die Ehrenamtlichen zwischen 16 und 18 Uhr eine Hausaufgabenbetreuung an: „Auch hier haben wir auf den Bedarf reagiert“, erklärt Kleinhenz. Denn viele ihrer Schüler haben längst die Aufnahme in eine Berufsintegrationsklasse geschafft. Nun geht es nicht mehr allein um die deutsche Sprache: Die Schüler müssen Mathematik, Naturwissenschaften oder Politik lernen – und brauchen bisweilen Unterstützung. „Da helfen wir gerne weiter“, so Kleinhenz.

Über den Engagementpreis der Studienstiftung freut sich der Sonderpädagogik-Student sehr, zumal er nicht damit gerechnet hatte. „Die Auszeichnung ist eine große Anerkennung unserer gemeinschaftlichen Arbeit, denn ohne meine Kommilitonen wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, betont der Stipendiat.

Das Preisgeld investieren sie in neue Lernmaterialien und eine bessere digitale Infrastruktur für das Projekt: Kopierer und Drucker müssen dringend ausgetauscht werden, ein neues Laptop soll helfen, Unterrichtsmaterialien zu digitalisieren, sodass die Ehrenamtlichen schneller auf Arbeitsblätter zurückgreifen können.

Über die zwei Jahre hinweg sind zwischen den Studierenden und Flüchtlingen viele Freundschaften entstanden. „Manche unsere Teilnehmer haben wir vom ersten Buchstaben an begleitet. Und sie halten heute freie Reden oder erzählen auf Deutsch von ihrer Flucht“, freut sich Kleinhenz. Dieser zwischenmenschliche Aspekt sei ein großer Gewinn und motiviere ihn stets, weiterzumachen: „Aber das Ziel ist nicht, dass die Leute ewig bei uns bleiben, sondern, das wir sie weiter vermitteln, dass sie vorankommen  ‒ in Beruf und Schule. Benötigen sie dabei Hilfe, sind wir da.“

Das Engagement von Kleinhenz und seinen Mitstreitern kann jedoch über die oftmals prekären Perspektiven der geflüchteten Schülerinnen und Schüler nicht hinwegtäuschen: „Die laufenden Asylverfahren und drohenden Abschiebungen beschäftigen unsere Schülerinnen und Schüler stark und erschweren auch unsere Arbeit.“ Erst vor kurzem endete die Gerichtsverhandlung eines jungen Mannes aus Afghanistan, den Kleinhenz unterrichtet. Er erhält keinen Flüchtlingsstatus und soll abgeschoben werden.

Es sind Entscheidungen wie diese, die Kleinhenz als ungerecht und unmenschlich empfindet und die er nicht in Einklang bringt mit einer demokratischen Gesellschaft, die die Menschenrechte hochhält. Gegen das Gefühl der Ohnmacht setzt Lukas Kleinhenz die Aktion: So wie er mit dem Verein „einfach loslegte“, so macht er unermüdlich weiter. Und öffnet so für ein paar Stunden pro Tag Geflüchteten ein Fenster in die Gesellschaft, in der sie hoffen, Heimat zu finden.

Mit dem weitergeben – Engagementpreis würdigt die Studienstiftung des deutschen Volkes öffentlich das Engagement ihrer Geförderten in von ihnen initiierten oder maßgeblich getragenen gemeinnützigen Projekten. 38 Initiativen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen lagen der Auswahljury in diesem Jahr zur Begutachtung vor. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird im Rahmen einer Festveranstaltung am 19. Juni 2017 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verliehen. Lukas Kleinhenz ist seit 2015 Stipendiat der Studienstiftung. Er studiert im 6. Semester Sonderpädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Stand: Juni 2017