Stipendiat:innen /
Berichte
Forschungsaufenthalt in Polen – Katowice/Wroclaw 2011-2012
Bericht über einen achtmonatigen Studien- und Forschungsaufenthalt in Polen mit dem Programm "Metropolen in Osteuropa"
Einleitung:
Über das Stipendium des Programms „Metropolen in Osteuropa“ der Studienstiftung des deutschen Volkes wurde mir ein achtmonatiger
Forschungsaufenthalt in den Städten Katowice und Wroclaw ermöglicht. Unter dem Arbeitstitel „ Urban interventions for an alternative tourism in postindustrial Silesia“ habe ich mehrere situationistische Projekte in beiden Städten realisieren können. Des Weiteren fand eine enge Zusammenarbeit mit dem Zentrum für
zeitgenössische Kunst „Kronika“ und dem in der Metropolenregion tätigen
Architekturbüro MedusaGroup statt. Wichtig ist zu erwähnen, dass ich in
Polen geboren bin und bis zu meinem vierten Lebensjahr in der Region um
Katowice gelebt habe. Viele Besonderheiten der polnischen Kultur waren mir
somit bereits vor dem längeren Aufenthalt bekannt und es bestand nur eine
geringe Sprachbarriere.
Katowice:
Die Stadt bzw. Metropolenregion Katowice ist schwierig in direkte
Konkurrenz zu seinen Stadtrivalen Wroclaw oder Krakau zu setzten, da es
sich hier um die Ansammlung mehrerer Städte einer Region handelt –
vergleichbar dem deutschen Ruhrgebiet. Die durch Bergbau und
Schwerindustrie gezeichnete Stadtregion befindet sich seit dem Untergang
vieler Betriebe im Wandel. Der Abbau und die Transformation der
Schwerindustrie und die Ansiedelung innovativer Firmen aus dem
Medienbereich tragen zur Veränderung des noch sehr grauen Stadtbildes
bei.
Der große strukturelle als auch kulturelle Nachholbedarf der Region ist
überall zu sehen. So ist eine starke Energie der jungen Bewohner
wahrnehmbar, die sich für die Veränderung ihrer Region einsetzen. Gerade bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt 2016, an der ich mit einem meiner Projekte mitgearbeitet habe, konnte man eine große Motivation deutlich wahrnehmen. Leider reichte es am Ende nicht aus, um sich gegen den Rivalen Wroclaw durchzusetzen. Eben diese externe Unterstützung, welche im Rahmen des Kulturhauptstadttitels vergeben wird, hätte für diese Region als kultureller Katalysator sehr hilfreich sein können. Für viele "echte Schlesier", die für die Veränderung ihrer von der Schwerindustrie geprägten Heimat schon lange kämpfen, war es ein herber Rückschlag.
Trotz alledem blüht weiterhin eine Aufbruchstimmung aus den Kommunen um Katowice, jener Geist, der wie ein Magnet auf Kulturschaffende aus dem In- und Ausland wirkt. "Künstlerische Freiheit" welche in dem kulturellen Entwicklungsgebiet zu vernehmen ist, lockt eben viele Künstler anSie erhoffen sich, die Fesseln gängiger Erwartungen ablegen zu können und sich , wie auf einem unkontrollierten Spielplatz, frei entfalten zu können. Die jungen Menschen der Metropolenregion sehnen sich förmlich nach einer Bespielung ihrer Heimat. Und obwohl die meisten Bewohner beruflich extrem eingebunden sind, sind Kulturereignisse stets sehr gut besucht gewesen.
Im Gegensatz zu Krakau, das mitunter von den Schlesiern als
Freilichtmuseum getadelt wird, spürt man hier den Aufbruchgeist zwischen
den alten noch zum Teil funktionierenden industriellen Betrieben und die dem Zerfall überlassenen Bergwerk-Ruinen. Diese unterschiedlichen Kulissen, welche
durch ein dichtes Straßenbahnnetz miteinander verbunden sind, formen
einen Lebensraum mit ungefähr 3,5 Millionen Einwohnern- die größte städtische Agglomeration Polens. Wenn man also als Außenstehender durch die vom Ruß tief schwarz gefärbten Fassaden blickt, über die tiefen Straßenlöcher hinweg und an den zugemüllten Hinterhöfen vorbei, entdeckt man diesen besonderen Ort
Polens, welcher ungemein viel Raum für Kreativität bietet.
So bildet sich eine der spannendsten Regionen Polens.
Doch so positiv ich eine Vision dieser Region am Ende meines Aufenthaltes zeichne, genau so will ich auch die gegenwärtigen Probleme feststellen. Denn die Umstrukturierung von einer postindustriellen Gesellschaft hat erst vor kurzem begonnen. Große Bevölkerungsgruppen der Region sind
arbeitslos und wegen ihres niedrigen Bildungsgrads in veralteten Strukturen
gefangen. Auch diese Bevölkerungsschicht hat eine junge Generation
hervorgebracht, welche sich abseits der kulturellen Bemühungen der
Institutionen um die Beantwortung existenzieller Fragen bemüht. Es gibt
immer noch eine starke Auswanderungsrate, gerade durch die Öffnung des
europäischen Arbeitsmarktes 2011 für Polen.
Zentrum für zeitgenössische Kunst und Kultur KRONIKA, Bytom:
[...] Die international bekannte kulturelle Institution "Kronika" stellt sich ihrer Herausforderung, die Erwartungen einer "kulturellen Oberschicht" mit den Bedürfnissen der weniger privilegierten Bewohner zu vereinbaren und zu vermischen. Deshalb sind gerade solche gesellschaftlichen „Hubs“, wie es die ortsansässige Galerie „Kronika“ ist, für
den Zusammenhalt der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten wichtig. Sie versucht
durch ein sehr ausgebautes Kulturprogramm für Kinder in den sozial
schwachen Schichten kulturelle Früherziehung zu leisten.
Ich selbst konnte
im Rahmen meines Forschungsaufenthalts eine Workshopreihe zum
Umgang mit öffentlichen Räumen gestalten. Dieses Angebot wird von den
Kindern hervorragend als Ergänzung zum Schulunterricht aufgenommen und
die Eltern sind froh in dieser Hinsicht entlastet zu werden. Weiter werden
immer wieder mit ansässigen Künstlern lokale Projekte gefördert, die eine
Integration und Partizipation der Bewohner provoziert. Auch die Projekte
ausländischer Künstler werden stark auf den kontextuellen Umgang mit der
Region und den Menschen ausgesucht und gefördert. Und so freut es mich, mit meinen Projekten ein Teil dieser Bemühungen gewesen zu sein. Auch die gemeinsame Arbeit am „Alternative Tourism“-Konzept sah ich als extrem wichtig an. So haben wir Bewohner durch spezielle Führungen auf die urbanen Skurrilitäten ihrer umliegenden Heimat, deren Besonderheit und Schönheit aufmerksam gemacht.
Fazit:
In der heutigen problemlosen Erreichbarkeit von Orten sollte man neben dem
notwendigen kulturellen Interesse viel mehr die Potentiale eines
Auslandsaufenthaltes in Bezug auf die eigene individuelle Entwicklung
überdenken. Meines Erachtens ist nicht das Schwierige die Entscheidung ins Ausland zu gehen, bei all der Unterstützung die uns glücklicherweise zur Verfügung steht, sondern viel mehr seine eigenen Interessen gegen einen oberflächlichen Profilierungsdrang von außen zu verteidigen. So mögen zwar die Verlockungen einer Metropole wie New York City oder Paris auf den ersten Blick für viele spannend wirken, aber möglicherweise z.B. aufgrund des Studienangebots überhaupt nicht in Hinblick auf die Erweiterung des akademischen und persönlichen Horizontes dienlich sein. Ich möchte damit nicht das „Kennenlernen“ anderer Kulturen als weniger wertvoll einstufen, jedoch das Augenmerk auf die individuelle Entwicklung lenken. Gerne würde ich Stipendiaten zu mehr Durchsetzungskraft für ungewöhnliche und individuelle Wege gegenüber gängigen und abgetretenen "Erasmus-Zielen" ermutigen .Es ist nämlich die Motivation, die man aus so einer persönlichen Entscheidung heraus entwickelt, die einen auch im Ausland erfolgreich seine Ziele verfolgen lässt.
Wie auch in meinem Fall, und damit auch für andere Studenten mit Migrationshintergrund, kann so ein "individueller Auslandsaufenthalt" eine Chance sein, Fragen nach Identität und Zugehörigkeit für sich zu klären. Ich persönlich habe während dieser achtmonatigen "Auslandserfahrung" nicht nur meine Identität als kultureller "Grenzgänger" bestärken, sondern auch ein weites Netzwerk auf beruflicher und freundschaftlicher Ebene aufbauen können. Deshalb möchte ich gerne allen, die
hinter dem Programm „Metropolen in Osteuropa“ der Studienstiftung stehen,
für die Möglichkeit und Organisation eines solchen Auslandsaufenthalts sehr
danken. Es war eine sehr bewegte und intensive Erfahrung, die sowohl
meinen persönlichen als auch akademischen Horizont extrem erweitert hat.
Lukas Stopczynski (Auszüge aus dem Erfahrungsbericht "Forschungsaufenthalt in Polen – Katowice/Wroclaw 2011-2012")