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Sina Wensing: „Mein Highlight war das Gesamtpaket“

Sina Wensing (20) hat an einer Politiksimulation zur EU-Klimapolitik teilgenommen. Dabei lernte sie in ihrer Rolle als Medienvertreterin nicht nur viel über den Gesetzgebungsprozess in der EU, sondern auf ihrer ersten Veranstaltung als Stipendiatin auch viele nette Leute kennen. Im Gespräch teilt sie ihre Erfahrungen.

Liebe Sina Wensing, Sie haben an „Europapolitik erleben!“ teilgenommen, einer Politiksimulation zur Klimapolitik der EU, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Weltweit“ stattgefunden hat. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Ich interessiere mich sehr für Politik, besonders auf internationaler Ebene. Immer wenn ich mich mit dem Gesetzgebungsprozess in der EU beschäftigte, fiel mir auf, wie schwerfällig und verworren mir dieser vorkommt. Von der Politiksimulation habe ich mir daher erhofft, einen praktischen Zugang und ein besseres Verständnis zu erlangen. Als neu aufgenommene Stipendiatin war es außerdem meine erste Bildungsveranstaltung der Studienstiftung. Ich war sehr gespannt auf die Inhalte und Abläufe, die anderen Stipendiat:innen und das gemeinsame Wochenende.

Worum ging es genau?

Wir haben am Beispiel der Neugestaltung des europäischen Emissionshandels das ordentliche Gesetzgebungsverfahren in der EU simuliert. Hintergrund dafür war das von der Europäischen Kommission 2021 vorgestellte Maßnahmenpaket „Fit for 55“ zur Umsetzung des Green Deals. Damit will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Wichtige Themen, mit denen wir uns beschäftigt haben, waren: die Ausweitung des Emissionshandels, der Mindestpreis pro Tonne CO2, die jährliche Zertifikate-Reduktion, die Verwendung der Erlöse und die Einführung eines CO2-Zolls.

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Wir haben vorab viele Infos erhalten, sowohl zur EU als auch zu der Simulation. Dabei haben wir auch die verschiedenen Rollen kennengelernt, die wir als Teilnehmer:innen einnehmen sollten: als Vertreter:innen der Kommission, des Parlaments und des Rats, aber auch als kritische Medienvertreter:innen und nach Einfluss strebende Lobbyist:innen. Eine dieser Rollen wurde uns im Vorhinein zugeteilt, so dass wir uns entsprechend vorbereiten konnten.

Welche Rolle haben Sie eingenommen?

Ich sollte in die Rolle einer Redakteurin des „De Standaard“ schlüpfen. Die niederländischsprachige Tageszeitung aus Belgien gehört zu den flämischen Zeitungen, die sich als Qualitätszeitungen bezeichnen. Zusammen mit einem „Kollegen“ bestand unsere Aufgabe darin, sachlich und objektiv über die Verhandlungen zu berichten, so dass sich die Bürger:innen unabhängig und differenziert eine Meinung bilden können. 

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben uns aufgeteilt: Eine:r von uns saß in den Lesungen des Rates, um die Diskussionen zu begleiten, während die:der andere über die Ereignisse und Entscheidungen im Parlament berichtete. Aus dieser Beobachterperspektive hörten wir den Verhandlungen zu und dokumentierten sie zeitgleich in Text, Bild und Video. Die fertigen Beiträge konnten wir auf einer eigens dafür angelegten Website hochladen und so für alle Teilnehmer:innen zugänglich machen. 

Welche Herausforderungen gab es?

Die größte Herausforderung lag darin, den Verhandlungen zu folgen, also die Diskussionen und Ergebnisse zu verstehen und kritisch zu reflektieren, und zugleich in informierende und lesbare Beiträge zu verarbeiten. Außerdem mussten wir am zweiten Verhandlungstag eine Podiumsdiskussion vorbereiten und durchführen sowie einen Kommentar zum Stand der Verhandlungen schreiben. Damit wollten wir informieren, aber auch ganz klar unsere Meinung zum Ausdruck bringen. Dabei hat die Zusammenarbeit im eigenen Redaktionsteam wie auch mit den anderen Redaktionen sehr geholfen.

Wie genau lief Zusammenarbeit mit den anderen Redaktionen ab?

Die Zusammenarbeit war insofern besonders spannend, als dass neben einem weiteren Duo im Bereich der politischen Berichtserstattung auch zwei Vertreter:innen eines Boulevardmediums anwesend waren, die sich in ihrer Arbeitsweise, in der Art ihrer Artikel doch deutlich von unseren unterschieden. Dieser Umstand bereicherte unsere Rollen durch die gravierenden inhaltlichen und stilistischen Unterschiede und die daraus resultierende teils enge teils unmögliche  Zusammenarbeit zusätzlich.

Besonderen Spaß machte es außerdem zu beobachten, wie ich eine gewisse Routine zwischen dem Zuhören und Schreiben entwickelte und so auch gelöster in der Gestaltung der Beiträge wurde. Aus den Gesprächen mit Stipendiat:innen in anderen Rollen entstanden so auch mal auf die Schnelle Beiträge in verschiedenen Formaten. Besonders spannend fand ich es zu sehen, welche Abgeordneten sich an welche Medien wandten und welche Einblicke mit welchen Botschaften von den einzelnen politischen Charakteren gesendet wurden.

Sie sind neu in der Förderung und das war die erste Veranstaltung, an der Sie teilgenommen haben. Wie haben Sie die Atmosphäre wahrgenommen?

Die Atmosphäre des Wochenendes war geprägt durch den Umstand der Simulation. Während die Abende – die nahezu einzige Zeit außerhalb der Rollen – entspannt verliefen, war der restliche Tag dem Planspiel gewidmet. Wir lernten uns so primär im Kontext und unter dem Umstand der Rollen und der Verhältnisse von Rolle zu Rolle kennen. Das „echte“ Kennenlernen durch eine Runde Werwolf oder ein persönliches Gespräch war somit eine entspannende und auflockernde Bereicherung und brach ein bisschen mit der sonst seriösen und geschäftigen Atmosphäre. Alles in allem – ob nun in Spiel oder Realität –  waren die vielen neuen Kontakte eine echte Bereicherung, oft humorvoll, immer freundlich und respektvoll. Insgesamt erlebten wir so eine spannende und ausgeglichene Gratwanderung zwischen dem ernsthaften Auftreten in der jeweils fiktiven Rolle und einem offenen und authentischen Umgang am Rande der Simulation.

Was durfte nicht fehlen?

Besonders im Hinblick auf die Kontakte zu den anderen Stipendiat:innen waren die Pausen in jedem Fall ein wichtiger Bestandteil des Wochenendes. Diese Chance, die anderen „richtig“ kennenzulernen und kurz von der eigenen Rolle aufzuatmen, war auch Grundlage für die funktionierenden Simulationsphasen an anderer Stelle und das freundschaftliche, entspannte Miteinander. Außerdem unerlässlich war die Begleitung und Anleitung durch die Organisation der Akademie für politische Bildung, die den Ablauf trotz recht enger Taktung extrem reibungslos sicherstellte und die ganze Simulation für uns sehr professionell und realistisch erscheinen ließ.

Was war ihr persönliches Highlight?

Mein persönliches Highlight war das Gesamtpaket. Als neu aufgenommene Stipendiatin war das Planspiel meine erste Veranstaltung und die gesamte Atmosphäre, sowie das volle Programm bedeuteten so viele neue Eindrücke, dass ein ganz konkreter Aspekt nur schwer auszumachen ist. Die Professionalität der Simulation, durch die wir einen so unmittelbaren Einblick in die Gesetzgebungsprozesse in der EU gewinnen konnten, hat mich wirklich fasziniert und dafür gesorgt, dass dieses Erlebnis intensiv nachhallt. Meine Hoffnung, einen praktischen Einblick und dadurch ein Verständnis und Überblick für und über die europäische Gesetzgebung zu gewinnen, wurde absolut erfüllt!

Nachhallen tun zudem die vielen neuen Menschen und Kontakte, die ich im Laufe und in Folge des Wochenendes kennenlernen durfte. So viele Gespräche und Menschen mit jeweils verschiedenen Hintergründe und Geschichten in so kurzem Zeitraum waren  beeindruckend und sehr inspirierend.

Was nehmen Sie fachlich mit?

Ein Zitat von Konfuzius, dass zu Beginn der Veranstaltung angeführt wurde, kann ich nur bestätigen: „Was man selbst macht und erfährt, behält und versteht man tatsächlich am besten.“ Und so nehme ich aus diesem Wochenende einen ganz neuen Blick auf die EU und ihre Prozesse mit. Verwässerte, unbefriedigende Kompromisse werden nicht  zufriedenstellender durch ein Verständnis für die Komplexität ihrer Entstehung. Gleichzeitig hilft es zu wissen, dass ein „halbgar“ erscheinender Kompromiss nicht zwingend das Ergebnis halbgarere Verhandlungen ist, sondern auch das Erzeugnis eines Für und Widers und des andauernden Versuchs, konträre und vielseitige Positionen doch unter einen Hut zu bringen, sein kann. Dass das dem Zweck dann nur bedingt hilft, mag das eine sein, dass es die EU aber vielleicht mitunter aus-, beständig und widerstandfähig macht, das andere. 

Und so hat auch die persönliche Erfahrung des Erringens eines in Teilen unbefriedigenden Kompromisses schlussendlich nicht primär Frust, sondern vor allem auch vertieftes Interesse an der EU als riesiges, internationales und ziemlich einmaliges Konstrukt und ihren Prozessen geweckt.

Sina Wensing (20) studiert Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften als Joint Bachelor of Arts an der TU Darmstadt und ist Stipendiatin der Studienstiftung.

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Stand: Mai 2024