Page 9 - Jahresbericht 2018
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nen Monat später ein Gesetz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ er- ging, also das sogenannte Ermächtigungsgesetz, mit dem die erste deutsche Demokratie sich gewissermaßen selbst abschaffte. Thomas Mann hat in einer Radio-Ansprache aus dem amerikanischen Exil von der „Verhunzung“ als einem besonders starken und bezeichnenden Ele- ment in der Erscheinung des Nationalsozialismus gesprochen, und er nennt in diesem Zusammenhang die Ideen des Sozialismus, der Revolution und der Vaterlandsliebe. Er hätte auch die Idee des Volkes hinzufügen können, ver- bunden mit der Liebe zu seinen Überlieferungen, seiner Kultur und Sprache – „die sich so gut vertrug mit der Sympathie und Bewunderung für die kulturel- len Eigenheiten anderer Völker“. Was hat „der umgekehrte Midas“, der Natio- nalsozialismus, daraus gemacht? „Nun, Dreck selbstverständlich. Blöde Überheblichkeit, rasenden Rassedünkel, manisch-mörderische Selbstvergöt- zung, Haß, Gewalt, und Unsinn hat er daraus gemacht.“ Das ist es wohl, was man bis heute mit einer völkischen Ideologie verbindet. Wenn nun gleichwohl die Studienstiftung ihren angestammten Namen nicht zu ändern braucht und auch nicht ändern sollte, dann deshalb, weil für dessen Interpretation nicht das Alte Testament, nicht Johann Gottfried Herder oder der Nationalsozialismus maßgeblich sind, sondern das Grundgesetz der Bun- desrepublik Deutschland (GG). Es ist die Verfassung, die sich „das Deutsche Volk“ (so die Präambel) nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gegeben hat, und die, wie es ebenfalls in der Präambel heißt, „für das gesamte Deut- sche Volk“ gilt. In Artikel 1 (2) GG bekennt sich „das Deutsche Volk“ zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Der Amtseid verpflichtet nach Artikel 56 GG den Bundespräsidenten (und Schirmherrn der Studienstiftung), seine ganze Kraft „dem Wohle des deut- schen Volkes“ zu widmen. Näher konkretisiert wird der Begriff „Volk“ (im Rah- men des Grundgesetzes identisch mit „dem deutschen Volk“) in Artikel 20 (2) GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollzie- henden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ In diesen Sätzen werden das Demokratieprinzip und der Grundsatz der Gewaltenteilung festgeschrie- ben. Das Volk gilt damit als „die letzte irdische Quelle der Gewalt im Staate“ (Carlo Schmid), aus der alle anderen Gewalten ihre Legitimation ableiten. Die Urteile deutscher Gerichte bringen das in ihrer Eingangsformel („Im Namen des Volkes“) zum Ausdruck. Vorwort des Präsidenten 7 


































































































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