Finalist: Dominik Herold, mehr als wählen

Demokratie in Bewegung: Wie ein Linienbus in Frankfurt am Main für mehr politische Beteiligung im Alltag wirbt

In Frankfurt am Main bringt Dominik Herold mit dem Verein „mehr als wählen e.V.“ Frankfurter Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher sozialer Herkunft und Lebenssituationen zusammen. Sie entwickeln in Bürgerforen gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Stadtpolitik. Auf Frankfurts Straßen ist außerdem ein „DemokratieWagen“ – ein ehemaliger Linienbus – als mobiler und experimenteller Erfahrungsraum für Demokratie unterwegs. Der 29-jährige Doktorand der Sozialphilosophie setzt sich damit für mehr politische Beteiligung im Alltag ein.

Dominik Herold wuchs in einem nordbayrischen Dorf mit 200 Einwohnerinnen und Einwohnern bei Nürnberg auf. Nach dem Abitur in Bayreuth studierte er Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Während des Studiums unterstützte er als Mentor der Initiative „Arbeiterkind“ Studierende aus nicht-akademischen Haushalten in ihrer beruflichen Orientierung. Herold wirkte von 2015 bis 2016 als Koordinator der „Initiative Flüchtlingshilfe München“ und leitete täglich den Einsatz der freiwilligen Helferinnen und Helfer in der größten Münchner Notunterkunft auf dem Messegelände mit 35.000 Geflüchteten. Zum Masterstudium der Politischen Theorie mit einem Schwerpunkt in französischer Sozialphilosophie wechselte der 29-Jährige an die Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er seit 2020 an der Schnittstelle zwischen Sozialphilosophie und Politischer Theorie promoviert. In seiner Dissertation geht der Doktorand der Frage nach, was Demokratie als Lebensform bedeutet.

In den Münchner Messehallen habe er erlebt, „was möglich ist, was solidarisches Handeln (von Verschiedenen) bewirken kann“. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung gründete der Politikstudent 2017 die in Frankfurt am Main ansässige Initiative „mehr als wählen e.V.“. Mit dem Verein setzt sich Herold für mehr politische Mitbestimmung und Beteiligung ein.

Seit 2020 ist Dominik Herold Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Interview mit Dominik Herold

Herr Herold, Sie haben vor vier Jahren in Frankfurt am Main gemeinsam mit weiteren Studierenden den Verein „mehr als wählen e.V.“ gegründet. Warum?

Demokratie bedeutet mehr als nur zu wählen. Ich setze mich ein für eine Idee von Demokratie, die Räume zur Beteiligung eröffnet. Ich glaube, dass dem derzeitigen Rechtsruck nur mit einer „Radikalisierung der Demokratie“ beizukommen ist. Während meines Studiums in München war ich in der Geflüchtetenhilfe aktiv. Also wollte ich mich mit Beginn meines Masters auch in Frankfurt gesellschaftlich einbringen. Ein Vorbild sind unter anderem die „citizen assemblies“ in Irland. Ich habe mich gefragt, ob ein solches Format der Bürgerbeteiligung in leicht veränderter Form hier in Frankfurt klappen könnte, um die Leute besser in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Und dann haben wir mit diesem Experimentierraum für die Demokratie einfach losgelegt.

Das Herzstück Ihrer Arbeit ist der mehrtägige „Demokratiekonvent“. Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich dabei an der Stadtentwicklung und beraten die Politik. Sie kommen gerade vom Auftakt des diesjährigen „Demokratiekonvents“ mit 50 Frankfurterinnen und Frankfurtern. Was haben Sie dabei erfahren?

Die Begegnungen sind entscheidend. Menschen, die im Alltag kaum mehr Berührungspunkte haben, kommen miteinander ins Gespräch. Wir befassen uns in diesem Herbst mit der Frage: Was heißt Klimaschutz konkret für Frankfurt am Main?

Was passiert dann mit den erarbeiteten Ideen?

Die Handlungsempfehlungen und Ergebnisse des „Demokratiekonvents“ werden im Plenarsaal des Römers an Repräsentantinnen und Repräsentanten der Stadtpolitik übergeben. Diese Rückbindung an die städtische Politik ist für uns ein zentraler Punkt. Wenn man es mit Beteiligung ernst meint, sollten die Ergebnisse danach in den politischen Gremien angehört und diskutiert werden.

„Ein Experimentierraum für die Demokratie: Mit der Etablierung des Demokratiekonvents sind wir in Frankfurt am Main die erste deutsche Großstadt, die einen so konzipierten Bürgerrat dauerhaft auf die Beine stellt.“

Was haben Sie bisher in Frankfurt am Main bewirkt?  

Der erste „Demokratiekonvent“ hat unter anderem dazu geführt, dass auf struktureller Ebene in der Stadt eine Stabsstelle für Bürgerbeteiligung gebildet wurde sowie ein Leitlinienprozess für gelungene Bürgerbeteiligung durchgeführt werden soll. Zudem entstand die Idee des „DemokratieWagen“, die wir mittlerweile realisiert haben. Mit der Etablierung des „Demokratiekonvents“ sind wir in Frankfurt die erste deutsche Großstadt, die einen so konzipierten Bürgerrat dauerhaft auf die Beine stellt. Im Vergleich zu anderen Ansätzen beziehen wir mittels einer sogenannten aufsuchenden Beteiligung explizit unterrepräsentierte Gruppen ein, die oftmals keine Stimme haben.

Wie funktioniert diese aufsuchende Beteiligung?

Aufsuchende Beteiligung lässt sich durch zwei Elemente kennzeichnen: Wir gehen proaktiv auf die Menschen zu und wir begegnen ihnen dort, wo sich ihr unmittelbarer Lebensalltag befindet. Im Vorfeld des „Demokratiekonvents“ kontaktieren wir Vereine, Initiativen und Treffpunkte, wo sich marginalisierte oder unterrepräsentierte Gruppen vernetzen – wie zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit prekärem Einkommen, Wohnungslose, Menschen mit Behinderung oder junge Menschen. Die jeweiligen Personen können dann niedrigschwellig, spielerisch oder kreativ ihre Ideen in Bezug auf politische Beteiligung entwickeln. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem persönliche Lebensrealitäten, Beteiligungshürden sowie strukturelle Probleme gehört werden, um gemeinsam zu überlegen, wie der nächste „Demokratiekonvent“ gestaltet sein muss. 2021 sind so zum Beispiel Menschen von der Lebenshilfe, Kuss41 Queeres Jugendzentrum Frankfurt, migrantische Organisationen und der Stadtschülerrat involviert.

Beim erstmaligen Auftakt dieses Bürgerforums vor zwei Jahren kamen Frankfurterinnen und Frankfurter im Alter zwischen 19 bis 79 Jahren zusammen. Und wie erfolgt dann die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Für den Konvent wählen wir jedes Jahr 50 Frankfurterinnen und Frankfurter zufällig aus verschiedenen Stadtteilen aus. Zwei Drittel davon werden gelost, ein Drittel setzt sich aus Menschen zusammen, die in der Stadtpolitik eher unterrepräsentiert sind. So bringen wir Frankfurterinnen und Frankfurter an einen Tisch, die normalerweise nicht in den Austausch miteinander kommen: junge und ältere Menschen, Wohnungslose und Großverdiener, Professorin und Verkäufer, Nordend- und Griesheim-Bewohner, gebürtige Frankfurter und Zugezogene.

„Es geht darum, politische Beteiligungsmöglichkeiten aufzuzeigen, Diskursräume zu schaffen und Hürden abzubauen. Mit unserem DemokratieWagen fahren wir in die Ortsteile.“

Warum bauen Sie derzeit einen Linienbus – ein Ziehharmonikabus von 20 Meter Länge – zum „DemokratieWagen“ um?

Demokratie ist mobil. Die Aufgaben und Themen liegen im Lebensalltag, auf der Straße: Wo gibt es Wohnraum? Wer kann es sich leisten, wie und wo zu wohnen? Welche Infrastruktur bietet mein Viertel? usw. Die Idee für den „DemokratieWagen“ entwickelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Bürgerforums. Der Bus steht für Bewegung. Raus aus dem Rathaus – rein in die Stadtteile. Wir haben den Gelenkbus zum mobilen und experimentellen Erfahrungsraum für Demokratie umgebaut und fahren in Ortsteile, in denen das politische Beteiligungsangebot eher mau ist. Seit 2019 sind wir auf Frankfurts Straßen unterwegs. Der Bus kann als mobiles Büro von Initiativen genutzt werden. Als Ersatzwagen fährt der Bus auch im Frankfurter Linienverkehr und bietet niedrigschwellige Möglichkeiten, sich mit Demokratie zu befassen, etwa via Audio-Hörmuscheln. Die Umsetzung war komplex und reichte von Auflagen zum Brandschutz bis zur TÜV-Abnahme.

Wofür möchten Sie die Spendengelder einsetzen?

Die Spendengelder helfen uns, die bestehenden Formate zu etablieren, weitere Projekte zu initiieren und unsere NGO zu professionalisieren, wir möchten eine Stelle für die Koordination der ehrenamtlichen Arbeit einrichten sowie den „DemokratieWagen“ ausbauen. Derzeit wird die gesamte Projektarbeit von einigen wenigen Personen ehrenamtlich getragen. Um die zukünftige Arbeit gewährleisten zu können, möchten wir zwei 450-Euro-Stellen für die AG-Koordination schaffen. Dafür benötigen wir knapp 13.000 Euro pro Jahr.

Wie können interessierte Personen Ihr Projekt sonst noch unterstützen?

Wir freuen uns über interessierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sich in den verschiedenen AGs inhaltlich einbringen möchten, Initiativen aus dem Frankfurter Raum, die den „DemokratieWagen“ nutzen möchten oder Menschen mit Erfahrung in Webdesign oder Finanzbuchhaltung.

Wie kamen Sie zur Studienstiftung und was ist Ihr Rat an junge Menschen?

Seit 2020 bin ich Promotionsstipendiat der Studienstiftung – das Angebot an Netzwerken und Förderung ist sehr breit aufgestellt und bietet eine enorme inhaltliche Tiefe, vom Auslandsaufenthalt bis zu den Akademien. Mein Tipp: Ausprobieren und für ein Stipendium bewerben! Man sollte vor der Aura einer Organisation nicht zu sehr Angst haben. Ich komme aus einer provinziellen Gegend und bin in einem Dorf mit 200 Einwohnerinnen und Einwohnern in Nordbayern aufgewachsen, in einem sogenannten bildungsfernen Haushalt – in einer Arbeiterfamilie. In meiner Familie gab es niemanden, der oder die studiert hat, Stipendien waren kein Thema, ich kannte in diesem Bereich keine Vorbilder. Aber ich bin in meinem Leben Menschen begegnet, die mich ermutigten: „Hey, probier‘ das aus, trau‘ dir das zu!“ Auch wenn es viele strukturelle Hürden gibt, möchte ich aus dieser Erfahrung heraus andere bestärken: Die Welt ist gestaltbar und jede und jeder hat ein Recht auf Mitgestaltung.

Für seinen Einsatz zeichnet die Studienstiftung des deutschen Volkes Dominik Herold als Finalist im Rahmen des Engagementpreises 2022 aus.

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