Engagementpreisträgerin 2022: Emily Wilbrand, Lionne

Teilhabe im Schul- und Arbeitsalltag ermöglichen: Ein togoisch-deutsches Team klärt in Kpalimé über den weiblichen Zyklus auf

In Togo können viele Mädchen und Frauen während ihrer Menstruation kaum oder gar nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Das liegt vor allem an fehlenden adäquaten Menstruationsprodukten. Mit dem togoisch-deutschen Team des Sozialunternehmens „Lionne“ unterstützt die 24-jährige Stipendiatin Emily Wilbrand die Produktion von wiederverwendbaren Stoffbinden und klärt über den weiblichen Zyklus auf. Die Initiative bezieht wichtige gesellschaftliche Themen wie die Selbstermächtigung von Frauen, die Wertschätzung des eigenen Körpers, aber auch Bildungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit mit ein.

Emily Wilbrand ist in Niebüll in Nordfriesland aufgewachsen. Nach dem Abitur verbrachte sie einen einjährigen Freiwilligendienst in Kpalimé bei einem Radiosender und in einem Waisenhaus im Rahmen des „weltwärts“-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zurück in Deutschland absolvierte Emily Wilbrand ihr Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Trier. Seit 2021 studiert die 24-Jährige Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie im Master an der Freien Universität Berlin.

Noch während ihres Studiums in Trier gründete Emily Wilbrand gemeinsam mit weiteren Studierenden den Verein Woé zon loo e.V. und baute gemeinsam mit ihrem Partnerverein International Volontaire en Action (IVA) das Sozialunternehmen „Lionne“ in Kpalimé im Südwesten Togos auf. Seit nunmehr einem Jahr produziert das mittlerweile 33-köpfige togoisch-deutsche Team Damenbinden aus Second-Hand-T-Shirts und klärt über den weiblichen Zyklus auf. Fünf Näherinnen wurden weitergebildet und stellen seit September 2020 waschbare Binden in Serienproduktion her. Das Team hat bisher 100 Frauen zu Beraterinnen ausgebildet, die Frauen dezentral über Menstruation aufklären und die wiederverwendbaren Binden verkaufen.

Seit 2019 ist Emily Wilbrand Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Interview mit Emily Wilbrand

Frau Wilbrand, Sie stellen mit einem togoisch-deutschen Team wiederverwendbare Stoffbinden in Serienproduktion her. Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?

Ich setze mich dafür ein, das Wissen über den weiblichen Zyklus zu verbreiten und möchte damit zum Abbau von Stigmata beitragen. Mädchen und Frauen sollen trotz Menstruation in Togo zur Schule, in die Universität oder zur Arbeit gehen können. Manche Mädchen verpassen regelmäßig Schultage, weil sie während ihrer Menstruation keine adäquaten Hygieneprodukte nutzen können, da gute Produkte zu teuer sind, sie sich mit Stoffresten aushelfen oder die billigen Einwegbinden gesundheitsschädlich sind. Wir haben eine nicht repräsentative Umfrage unter 63 Frauen aus unserem Netzwerk durchgeführt: 39 % der befragten Frauen hatten vaginale Infektionen aufgrund billiger Einwegbinden.

Was haben Sie bereits bewirkt?

Wir haben bereits 100 Frauen zu „Lionne“-Beraterinnen ausgebildet, die ihr neues Wissen über den weiblichen Zyklus mit anderen Frauen teilen und die Binden zum Kauf anbieten. „Lionne“ bedeutet „Löwin“ und steht für die Stärke und Unabhängigkeit von Frauen, diesen Spirit verbreiten die Frauen. Unsere fünf Näherinnen in Togo haben nun ein sicheres Einkommen – sie können damit besser die Bildungswege ihrer Kinder unterstützen, zum Beispiel Schulhefte und Stifte für sie kaufen. Außerdem haben wir zwei offizielle „weltwärts“-Stellen für deutsche Freiwillige geschaffen. Mit dem Verein Woé zon loo e.V. bieten wir Menschen eine Plattform, sich global zu engagieren und dabei ihre Fähigkeiten unter anderem im Projektmanagement auszubilden.

„Unsere fünf Näherinnen in Togo haben nun ein sicheres Einkommen – sie können damit besser die Bildungswege ihrer Kinder unterstützen, zum Beispiel Schulhefte und Stifte für sie kaufen. Wir haben 100 Frauen in Togo zu Lionne-Beraterinnen ausgebildet, die ihr Wissen über den weiblichen Zyklus mit anderen Frauen teilen.“

Sie haben mit Ihrem Team eine Zeichnung angefertigt, die in leicht verständlicher Weise und wenigen Schritten den Vorgang der Menstruation erklärt und in den Beratungsgesprächen verwendet wird. Wie reagieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Aufklärungsarbeit?

Sehr interessiert und dankbar. Unser Team hat bisher tatsächlich nur positive Reaktionen erlebt, bei Frauen sowie bei Männern. Nach einer der Beraterinnen-Ausbildungen sagte mir eine 50-jährige Teilnehmerin, sie habe heute zum ersten Mal erfahren, warum sie einmal im Monat blutete. In einem Dorf in Togo habe ich viele schwangere 13- bis 16-jährige Mädchen getroffen, die die Schule abbrechen mussten. Dabei zu wissen, dass dies häufig durch Aufklärung hätte verhindert werden können, hat mich sehr berührt.

Wofür möchten Sie die Spendengelder einsetzen?

Mit den Spendengeldern können wir weitere Frauen in Togo zu Beraterinnen ausbilden. Durch ihre Arbeit wiederum können mehr Mädchen und Frauen Zugang zu unseren Stoffbinden bekommen und über ihre Periode aufgeklärt werden. Mit 800 Euro können wir zwei weitere Nähmaschinen kaufen, 1.800 Euro helfen uns, eine Bindenpresse zur leichteren Produktion zu bauen. 3.800 Euro fehlen uns, um mit Solarpanels die Produktion vor Stromausfällen zu schützen und 2.000 Euro ermöglichen uns, mit Werbeaktionen die Binden bekannt zu machen.

Wie können Personen Ihr Projekt außerdem unterstützen?

Wir freuen uns über weitere Mitwirkende, die Lust auf Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe haben. Ob Social Media, Newsletter schreiben, Websites gestalten, Fundraising – all das können junge Leute bei uns lernen und dabei Gutes tun. Auch die Famulatur im Krankenhaus, NGO-Arbeit, Schulassistenz oder Frauen-Empowerment im Rahmen eines Praktikums oder eines Freiwilligendienstes in Togo sind möglich. Die zweite einjährige weltwärts-Stelle ab August 2022 im Stoffbinden-Projekt Lionne wartet übrigens auch noch auf eine motivierte junge Frau. Schreibt mir gerne an emily.wilbrand@woezonloo.de.

Wie sind Sie zur Studienstiftung gekommen?

Ich wurde nicht von der Schule vorgeschlagen, hatte aber das Gefühl, dass ich trotzdem in die Studienstiftung passen würde. Daher fragte ich im dritten Semester meinen Professor, ob er mich vorschlagen würde, was er dann auch gerne gemacht hat. Man muss also nicht schon in der Schule nur die besten Noten schreiben, manchmal blüht man eben so richtig erst im Studium auf. Mein Tipp ab dem 3. Semester: Einfach eine Professorin oder einen Professor fragen, ob sie oder er euch vorschlägt. Hier fängt die „Initiative“ an, die die Studienstiftung sich von ihren (künftigen) Stipendiatinnen und Stipendiaten wünscht.

Für ihren Einsatz wird Emily Wilbrand mit dem Engagementpreis 2022 der Studienstiftung des deutschen Volkes ausgezeichnet. 2021 erhielt die Stipendiatin bereits den „Starterpreis“ der Studienstiftung und wurde in der Aufbauphase ihrer Initiative mit einem Coaching begleitet.

Weitere Informationen, Kontakt und Spendenmöglichkeit

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