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04/05/2023

Die Studienstiftung trauert um Gerhard Roth

Gerhard Roth, international renommierter Neurowissenschaftler und ehemaliger Präsident der Studienstiftung, verstarb am 25. April im Alter von 80 Jahren.

Als Stipendiat der Studienstiftung studierte Gerhard Roth Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie, nahm nach Abschluss seiner philosophischen Dissertation ein weiteres Studium auf und wurde 1974 als Biologe promoviert. Ab 1976 lehrte Roth als Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen, wo er von 1989 bis 2008 zudem Direktor des Instituts für Hirnforschung war. Ende 2003 wurde der Alumnus und vielfache Akademiedozent zum Präsidenten der Studienstiftung gewählt. In diesem Amt wirkte er bis 2011. Für seine herausragenden Verdienste um Wissenschaft und Gesellschaft, die er sich nicht zuletzt als Präsident der Studienstiftung erworben hatte, wurde ihm 2011 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.

„In seiner Amtszeit setzte sich Gerhard Roth dafür ein, Begabtenförderung gesellschaftlich breit zu verankern und gleichzeitig die Geförderten für wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu begeistern“, erinnert sich der aktuelle Präsident der Studienstiftung, Reinhard Zimmermann, an seinen Amtsvorgänger. Vier große Anliegen prägten Roths Amtszeit, nämlich der Aufwuchs der Gefördertenzahlen, die Öffnung der Zugangswege in die Förderung, der Ausbau des wissenschaftlich fokussierten ideellen Programms sowie die Schaffung eines lebendigen Netzwerks auch über den Abschluss der Förderung hinaus.

In Deutschland würden die Potenziale zur Förderung begabter Studierender bei weitem nicht ausgeschöpft, befand Gerhard Roth, gestützt auf Erkenntnisse der Intelligenz- und Hochbegabungsforschung, bereits zu Beginn seiner Amtszeit. Nur 0,6% eines Abiturjahrgangs fanden Anfang der 2000er Jahre den Weg in eines der Begabtenförderungswerke. In zahlreichen Gesprächen setzten sich Roth und der damalige Generalsekretär der Studienstiftung, Gerhard Teufel, für eine Ausweitung der Begabtenförderung ein und erlangten 2005 unter anderem die Unterstützung des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und der Bundesbildungsministerin Annette Schavan. In den folgenden Jahren gelang die Verdopplung der Zahl an Geförderten in Studium und Promotion: von rund 5.800 im Jahr 2004 auf rund 12.500 im Jahr 2011.

Dass der Aufwuchs jedoch nicht nur quantitativ betrachtet werden sollte, war Gerhard Roth wichtig: Bereits 2004 betonte er die Notwendigkeit, Zugangswege gerade für Studierende aus nicht-akademischem Elternhaus zu erweitern. Da diese in den Vorschlägen der Schulen häufig unterrepräsentiert waren, setzte er eine Selbstbewerbung als alternativen Zugangsweg zur Studienstiftung durch, der die Vorschläge aus Schulen und Hochschulen seit 2010 ergänzt.

Die besondere Bedeutung der Studienstiftung für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland zeigte sich für Roth besonders in den Debatten um die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge sowie um die Exzellenzinitiative der 2000er-Jahre. Mit dem ideellen Bildungsprogramm für ihre Geförderten habe die Studienstiftung das Potenzial, eine „virtuelle Eliteuniversität“ zu bilden, die begabten Studierenden unabhängig von ihrem Studienort exzellente Lehrangebote mache und zugleich Freiräume eröffne, die durch die Modularisierung der Studienpläne an den Hochschulen eingeschränkt worden seien. Während die Studienstiftung bis dahin einen Schwerpunkt in der Förderung von „Basiskompetenzen“ wie Allgemeinbildung, sozialer Verantwortung, interdisziplinärem Denken und künstlerischen Neigungen bei herausragenden Studierenden gesetzt hatte, hob er die Notwendigkeit hervor, als Begabtenförderungswerk die fachliche Exzellenz nicht allein als Voraussetzung zu begreifen, sondern Geförderten explizit Anregungen für ihre wissenschaftliche Entwicklung zu bieten. Die zentrale Neuerung hierfür waren die Wissenschaftlichen Kollegs, erdacht bereits vor seiner Amtsübernahme, aber unter Roths Ägide mit großem Enthusiasmus und Überzeugung umgesetzt. Fortgeschrittenen Studierenden eröffnen sie bis heute die Möglichkeit, über einen mehrjährigen Zeitraum mit ausgewiesenen Wissenschaftler:innen an innovativen Themen zu arbeiten, sich dadurch fachlich weiterzuentwickeln und mit der Wissenschaft als Berufsfeld in Kontakt zu kommen.

Die Studienstiftung als lebendiges Netzwerk auch über das Ende der Förderung hinaus zu etablieren, war ein weiteres Anliegen Gerhard Roths, der mit Nachdruck die Gründung des Vereins Alumni der Studienstiftung unterstützte. Seit 2010 führt der Verein die unterschiedlichen lokalen Initiativen und Aktivitäten von Ehemaligen der Studienstiftung unter einem Dach zusammen und stärkt dadurch die interdisziplinäre und generationenübergreifende Vernetzung von Ehemaligen untereinander ebenso wie mit den Geförderten.

Die vielfältigen Aktivitäten der Studienstiftung, ihrer Geförderten und Ehemaligen der Öffentlichkeit vorzustellen, sah Gerhard Roth bei all diesen Themen als eine  zentrale Aufgabe. Eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Institution, so schrieb er 2004, müsse „in aller Klarheit, wenngleich mit der gebotenen Zurückhaltung, darstell[en], was sie ist und was sie macht.“

Nach achtjähriger Amtszeit schied Gerhard Roth am 2. Dezember 2011 aus seinem Amt aus. Verabschiedet wurde er auf seinen Wunsch hin mit einem wissenschaftlichen Symposium, das sich im September 2011 mit den großen Fragen befasste, die ihn während seiner Präsidentschaft bewegten, etwa dem Spannungsfeld zwischen dem Bekenntnis zur Individualförderung und der Verpflichtung auf das Allgemeinwohl. Die Themen, die Gerhard Roth hinterfragt und vorangetrieben hat, prägen die Arbeit der Studienstiftung bis heute.

Die Studienstiftung wird sich in großer Dankbarkeit an Gerhard Roth erinnern.