Jazzakademie Rendsburg 2015: Expedition in einen Musikstil

Als eine von zwei  Expeditionsakademien im Jahr 2015 fand die Jazzakademie im Oktober in Rendsburg statt. Neben drei theoretischen Arbeitsgruppen gab es auch einen praktischen Workshop, der von erfahrenen Berufsmusikern geleitet wurde: Einer davon war der erfolgreiche Saxofonist und Komponist Timo Vollbrecht, der von 2007 bis 2012 Musikstipendiat der Studienstiftung war. Die Idee einer Jazzakademie geht auf den Stipendiaten Christoph Struve zurück, den die Studienstiftung bis Ende 2015 für sein Medizinstudium in Essen förderte. Im Gespräch schildern beide ihre Eindrücke von der Akademie.

Herr Struve, die Jazzakademie geht auf Ihre Initiative zurück. Was war die Idee dahinter?

Struve: Die Idee entstand im Rahmen eines Probenwochenendes des Studienstiftungsorchesters Nordrhein-Westfalen. Tagsüber übten wir die Oper Carmen ein, abends saßen alle Musikerinnen und Musiker zusammen, und es kam die Idee auf, ein wenig Jazz zu spielen. Der Abend wurde schließlich eine lange Nacht, und am nächsten Morgen fragten wir uns, wieso die Studienstiftung eigentlich keine Akademie zum Thema „Jazz“ anbietet. Daraufhin schrieb ich die Idee auf, und sie wurde umgesetzt!

Sie waren selbst einer von 76 Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Wie haben Sie die Akademie vor Ort erlebt?

Struve: Die Stimmung war atemberaubend gut! Ich hatte zwar gehofft, dass man abends in abwechselnden Formationen musizieren würde, aber dass durchweg fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitmachten – damit hätte ich nicht gerechnet! Ging man abends über den Campus des Nordkollegs, hörte man aus vielen Ecken und Enden Musik, man traf Stipendiatinnen und Stipendiaten, die über Musik diskutierten, und fast jeder summte eine Melodie oder einen Ohrwurm vor sich her.

Was war Ihrer Meinung nach das Besondere an dieser Akademie?

Struve: Bis zur Jazzakademie gab es in der Studienstiftung nur die Möglichkeit, für klassische Musik zum Musizieren zusammenzukommen – zum Beispiel in der Musikakademie Brixen. Der Jazz erfuhr dagegen bislang keine große Beachtung. Ich glaube, mit dieser Form der Akademie, in der es praktische und theoretische Gruppen gibt, die sich untereinander austauschen und abends gemeinsam Jazz „erspielen“ und „erleben“, haben wir etwas Neues auf die Beine gestellt. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren überrascht, was sich alles hinter dem Begriff „Jazz“ versteckt und wie vielfältig und wandelbar diese Musikrichtung noch immer ist. Einen großen Anteil an diesen vielen Erfahrungen hatten natürlich auch die Dozentinnen und Dozenten, die uns ihre je eigene Herangehensweise an den Jazz zeigen konnten.

Welche Rolle hat der Tagungsort Rendsburg für die Jazzakademie gespielt?

Struve: Das Nordkolleg Rendsburg war für eine solch große Anzahl an Musikerinnen und Musikern als Tagungsort optimal. Hier proben regelmäßig größere Gruppen, unter anderem für das Schleswig-Holstein-Musikfestival. Vor Ort befanden sich ausreichend Probenräume, Notenständer und Instrumente, die man sich unkompliziert ausleihen konnte. Ganz neu fertiggestellt waren auch unterirdische Probenräume. Insgesamt gesehen war der Probenort ein Glücksgriff, da durch die verteilten Räume auf dem weitläufigen Campus der Anlage alles gleichzeitig möglich war: Proben bis tief in die Nacht, gemütliches Zusammensitzen unter den Sternen, am Nord-Ostsee-Kanal oder im Aufenthaltsraum, gemeinsames Musikhören oder frühes ungestörtes Schlafen, wenn der Tag sehr anstrengend gewesen war.

Herr Vollbrecht, was war für Sie der Reiz, als Dozent zur Jazzakademie nach Rendsburg zu kommen?

Vollbrecht: Während meines Studiums war ich selbst Stipendiat der Studienstiftung und konnte ahnen, auf welch inspirierende Menschen ich in Rendsburg treffen würde. Diese besondere Atmosphäre war für mich ein großer Anreiz. Außerdem bin ich der Meinung, dass das Erlernen von Jazz-Improvisation die Türen zu Originalität, Kreativität und Spontaneität öffnet. Zudem fördert die Interaktion im Ensemble die Fähigkeit, die Gedanken und Emotionen anderer zu erkennen und zu verstehen. Ich habe ein echtes Interesse daran, anderen Menschen diese besondere Musik nahezubringen. Nicht zuletzt habe ich die Studienstiftung als ganz besondere Gemeinschaft kennengelernt. Die Möglichkeit, aktiv einen kleinen Teil dazu beizutragen, war für mich eine große Ehre.

Wie war es für Sie, mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu arbeiten, die auf ganz unterschiedlichen Niveaus musizieren?

Vollbrecht: Meines Erachtens hat es großartig geklappt. Der Vorteil ist, dass wir beim Improvisieren nicht an Partituren gebunden sind. Somit konnten wir für jeden Einzelnen herausarbeiten, wie sie oder er die Band bereichern konnte. Im Jazz gibt es für jede und jeden einen Platz.

Was konnten Sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit auf den Weg geben?

Vollbrecht: Ich hoffe, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelernt haben, ihren Ohren und Gefühlen zu vertrauen. Denn es eröffnen sich schier unendliche Möglichkeiten, wenn man einmal das Notenblatt vom Pult nimmt. Ich hoffe, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Zugang ermöglicht zu haben, ihre Musik mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu verbinden. Außerdem glaube ich, dass sie ihre Sensibilität gegenüber dem Hören von Musik im Allgemeinen ausbauen konnten. Besonders gefiel mir die abendliche Hör-Session, bei der wir uns gegenseitig unsere Lieblingsalben vorstellten und erklärten, was uns an ihnen so fasziniert.

Was hat Sie während der Jazzakademie besonders beeindruckt?

Vollbrecht: Am meisten beeindruckten mich die Aha-Erlebnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, von denen es während dieser Woche mehrere gab. Es war inspirierend mitzuerleben, wie sich vor den Augen (und Ohren) der Studierenden auf einmal ganz neue Welten eröffneten. Das ist besonders der Aufgeschlossenheit und Hingabe zu verdanken, mit denen alle Beteiligten an dieser Akademie mitgewirkt haben.

Die Jazzakademie im Akademieprogramm der Studienstiftung

Die Studienstiftung bietet unterschiedliche Akademieformate an, um den verschiedenen Bedürfnissen und Wünschen der Stipendiatinnen und Stipendiaten gerecht zu werden. Im Mittelpunkt der sogenannten Expeditionsakademien steht die Auseinandersetzung mit einem inhaltlichen Leitthema und einem historisch-gesellschaftlichen Erfahrungsraum oder die theoretische und praktische Expedition in einen musikalischen und kulturellen Raum. Dazu gestalten Expertinnen und Experten aus der Praxis sowie Hochschullehrende als Arbeitsgruppenleitungen und Vortragende das Programm.

Die bisherigen Akademieorte waren:

  • Ostsee-Akademie Mariehamn (2014)
  • Akademie Sarajevo (2015 und 2017)
  • Jazzakademie Rendsburg (2015)
  • Donauakademie (2016)

In der Expedition Jazz – Jazzakademie Rendsburg 2015 ging es darum, gemeinsam einen musikalischen Raum zu entdecken – den Jazz. Die Akademie machte dazu Rast im Nordkolleg Rendsburg, um sich eine Woche lang praktisch und theoretisch mit dem Leitthema Jazz zu beschäftigen. Neben den akademietypischen Arbeitsgruppen wurden in einem Workshop Studierende der Musik und Stipendiaten mit fundiertem musikalischem Können durch namhafte Dozentinnen und Dozenten an die vielfältigen Spielarten des Jazz und die Möglichkeiten der Improvisation herangeführt. Gleichwohl wurden alle Teilnehmer, die an den Arbeitsgruppen teilnahmen, eingeladen, ihr Instrument ebenfalls mitzubringen und sich abends oder in der Freizeit musikalisch zu betätigen. Die Akademie fand im Nordkolleg Rendsburg statt, das inzwischen der Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals als Standort dient und daher gute Möglichkeiten zum Musizieren und Tagen bietet.

Die nächste Jazzakademie findet 2017 in Montepulciano/Italien statt. Darüber gibt es in diesem Jahr auch noch eine weitere Expeditionsakademie, die  Expeditionsakademie Sarajevo.

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